Recherche 20. Juni 2018, von Katleen de Beukeleer

Die Ambassadorin der Verständigung

Jugendbotschafterin

Wer Anna Bachofner überzeugen will, braucht starke Argumente. «Mission 21» konnte sie für sein Jugendbotschaftsprogramm begeistern.

In der Schweiz gibt es nicht wenige Frauen, die schwere Gardinen aufhängen und die Türe doppelt und dreifach schliessen, sobald sich Asylsuchende in ihrem Wohnort aufhalten. Nicht so Anna Bachofner. Heute nimmt die 24-Jährige ein Dutzend Interessierte mit auf ­einen Rundgang durch Aarau, in dem Asylsuchende zeigen, welche Orte in der Stadt für sie wertvoll sind. Der Rundgang ist ein Workshop des «Youth Summit», eines internationalen Jugendtreffens, organisiert vom evangelischen Missionswerk Mission 21 aus Basel. Das Thema: Flucht und Migration. «Es ist wichtig, auch die Perspektive der Betroffenen zu zeigen», findet Anna Bachofner. «Unsere Sicht dominiert so oft in der Debatte.»

Volle Agenda

Es sind intensive Wochen für Anna Bachofner. Nicht nur organisiert sie den «Youth Summit» mit, sondern sie ist auch für das Reiseprogramm der zwanzig ausländischen Gäste mitverantwortlich. Diese Gäste sind junge Erwachsene, die, wie Bachofner auch, am Jugendbotschaftsprogramm von Mission 21 teilnehmen. Mit diesem Programm will das Missionswerk den Austausch zwischen seinen Partnerkirchen- und Projekten aus allen Kontinenten fördern und das internationale Jugendnetzwerk stärken. Gleichzeitig bereitet Anna Bachofner sich auf die Prüfungen vor, die demnächst anstehen. Diesen Sommer arbeitet sie zwei Monate nicht, in der Regel kombiniert sie alles aber noch mit einem 50-Prozent-Job.

So beachtlich wie ihre Agenda ist auch die Standfestigkeit der jungen Frau. Anfänglich wirkt sie unauffällig, fast schüchtern, doch spätestens als sie auf ihre Heirat zu sprechen kommt, zeigt sich: Zweifeln ist nichts für sie. Bereits mit 22 entschied sie sich, zu heiraten. «Mein Bruder hatte Tränen in den Augen, als ich ihm von meinen Heiratsplänen erzählte», sagt sie. «Er fragte mich, ob das nicht viel zu früh sei.» Doch die Liebe zu ihrem Mann, der aus der Elfenbeinküste in die Schweiz geflüchtet und damals im Asylverfahren war, sei von Anfang an klar «fürs Leben» gewesen.

Kritische Konfirmandin

Dass gerade Anna Bachofner Botschafterin eines evangelischen Missionswerks werden sollte, war alles andere als gottgegeben. Sie wuchs zwar reformiert auf, doch religiös sei sie nicht: «Dafür bin ich zu kritisch und rational.» Es habe mehrere Diskussionen mit dem Pfarrer gebraucht, bis sie sich konfirmieren lassen wollte. Der Begriff «Mission» sei ihr suspekt, seitdem sie sich im Geschichtsunterricht mit der Kolonialisierung auseinandergesetzt hat. Und trotzdem: Als der Religionslehrer Flyer für eine Begegnungsreise mit Mission 21 mitbrachte, siegte die Neugierde. Die damals Zwanzigjährige meldete sich an und reiste für zwei Wochen nach Ghana. Sie besuchte Partnerkirchen, Schulen und Spitäler. «Der Begriff Mission hat zwar immer noch einen fahlen Nachgeschmack, aber die positiven Effekte der Friedensbildungsprojekte sind höchst eindrücklich.» Ausserdem habe sie gestaunt, wie viel Kraft die Ghanaer aus ihrem Glauben ziehen.

Differenzen faszinierten Bachofner schon als Kind, als sie beharrlich eine schwarze Puppe verlangte. «Obwohl es in meiner Schule keine ausländischen Kinder gab, fühlte ich mich schon immer zu Afrika hingezogen», erinnert sie sich. Es sei dann auch ein «glücklicher» Zufall gewesen, dass sie mit zwölf einen nigerianischen Stiefvater bekam. «Er ist immer noch der einzige Schwarze bei uns im Dorf», sagt Bachofner. Während der Rundreise in Ghana habe sie genau gespürt, was es heisst, wenn die Hautfarbe von grosser Relevanz sei – sogar, wenn diese als positiv wahrgenommen werde. «Die Ghanaer bewunderten uns als reiche Weisse, manchmal behandelten sie uns fast als Übermenschen.» Dieses Gefühl, ausgestellt zu sein und aufzufallen, sei sehr unangenehm gewesen.

Durchmischung fehlt

Die Kolonialisierung sei noch überall sicht- und spürbar. «Die Fischer in Ghana haben kaum noch Arbeit, weil grosse ausländische Schiffe alles bis nah an die Küste wegfischten.» Auch die Schweiz müsse Verantwortung übernehmen, gerade als neutrales Land, das die Menschenrechte hochhalte.

So wie die Begegnungsreise nach Ghana sei auch das Jugendbotschaftsprogramm sehr bereichernd, findet Anna Bachofner. Es sei aber schade, dass im Programm keine stärkere Durchmischung stattfinde: «Es wird vorwiegend von jungen Menschen aus guten Verhältnissen in Anspruch genommen, die studieren oder am Gymnasium sind.» Auch während des Rundgangs in Aarau fällt auf, dass mit zum Teil elitärem Vokabular diskutiert wird. Anna Bachofner hört lieber zu, beobachtet, handelt. «Ich hoffe, irgendwann für eine internationale NGO arbeiten zu können», so die Vision der jungen Frau.Erleben, spüren, handeln: Das wird wohl Anna Bachofners Lebensmotto bleiben. Katleen De Beukeleer

Anna Bachofner, 24

Anna Bachofner wuchs in Balzenwil, einem Ortsteil der Gemeinde Murgenthal, auf. Mit zwanzig Jahren unterrichtete sie Deutsch für Asylsuchende, später machte sie ein Vorpraktikum in einer Asylunterkunft. Momentan studiert sie Soziale Arbeit an der Berner Fachhochschule. Anna Bachofner wird im August eine Stelle in der offenen Jugendarbeit in Bern antreten. Sie ist verheiratet und wohnt in Bern.