Es muss kühl gewesen sein in jenem November. Die Soldaten auf den historischen Fotos tragen den Wintermantel. Und doch war es ein heisser Spätherbst. Es roch in diesen Tagen nach Revolution und Bürgerkrieg. Drei Tage, vom 12. bis 14. November 1918, dauerte der Streik, der als Landesstreik oder Generalstreik in die Schweizer Geschichte eingegangen ist. Nun jährt sich das Geschehen zum 100. Mal.
Der Anführer war Berner
Zur Krise gekommen war es, weil sich die Kluft zwischen Bürgern und Arbeitern während des Ersten Weltkriegs vertieft hatte. Direkt nach dessen Beendigung riefen die Wortführer der Arbeiterschaft einen schweizweiten Streik aus, um diverse Forderungen durchzusetzen. Dazu gehörten die 48-Stunden-Woche, das Frauenstimmrecht, die Verbesserung der Lebensmittelversorgung sowie eine Alters- und Invalidenversicherung. Der führende Kopf der Arbeiterbewegung, der Sozialdemokrat Robert Grimm, kam aus Bern.
Rund 250 000 Arbeiterinnen und Arbeiter folgten dem Aufruf zum Streik. Die Regierung, die einen Umsturz fürchtete, hatte Armeetruppen aufgeboten, die Situation drohte zu eskalieren. Deshalb brachen die Streikführer die Aktion ab. Das vorläufige Resultat waren vier Tote, zahlreiche Verurteilungen und ein politischer Graben, der in den folgenden Jahren tief blieb. Historiker bewerten den Generalstreik als die schwerste innenpolitische Krise der Schweiz.
Grosse Erleichterung
Klar, dass sich auch der «saemann», der Berner Vorläufer von «reformiert.», in seiner Dezember-Ausgabe des Jahres 1918 zu den Ereignissen vom Vormonat vernehmen liess. Aus den Zeilen spricht die Erleichterung, die man in breiten Kreisen verspürte: die Erleichterung darüber, einer vermeintlich von Russland gesteuerten Arbeiterrevolution entgangen zu sein. «Auch wir mussten uns bange fragen: Solls auch mit uns noch in die Revolution hinein? Gewinnt der Stecken der Bolschewiki-Treiber die Herrschaft? – Gottlob nein!», frohlockte der Redaktor.
Heute weiss man: Hinter dem Generalstreik steckten keine russischen Agenten. Die damalige Angst vor einem «russischen Muster» war laut dem Historiker Thomas Maissen trotzdem nicht ganz unbegründet. Wenn die Schweizer Arbeiter dem Militär auch unterlagen – ihre Forderungen setzten sich später doch noch durch.