Meinung 07. April 2023, von Rita Famos, EKS-Präsidentin

Karfreitag im Licht von Ostern

Gastbeitrag

Mit Ostern verschwindet Karfreitag nicht. Aber Gottes Licht leuchtet in Krankheit und Einsamkeit, Krieg und Tod hinein, schreibt EKS-Präsidentin Rita Famos.

Schon wieder Passionszeit. Als Christinnen und Christen stehen wir jedes Jahr neu vor der Herausforderung, in diese Dramatik einzutauchen. Manche überspringen am liebsten den Karfreitag innerlich. Der Tod Jesu ist dann nur ein Ausgangspunkt für das frohe und triumphale Osterfest.

Ostern ist für sie wie eine Disney-Verfilmung: Die Tragik von Karfreitag ist lediglich der Anlauf für die Freude und Harmonie, in der die Geschichte enden wird. Man kann das Osterlamm auch ohne Fastenzeit geniessen. Wir möchten am liebsten Ostern ohne Karfreitag. 

Karfreitag in der Ukraine

In guten Jahren und glücklichen Zeiten mag das gelingen. Aber jetzt sind die Karfreitage zu präsent, als dass wir sie überspringen könnten.

Den Krieg in der Ukraine kann niemand ausblenden, nur schon deshalb, weil die Schutzsuchenden unsere Nachbarn sind. Da ist keine Gerechtigkeit in Sicht. Seit über einem Jahr nicht.

Rita Famos

Am 2. November 2020 wurde Rita Famos zur Präsidentin der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (EKS) gewählt. Zwei Jahre später wurde sie ohne Konkurrenz und Gegenstimme glanzvoll im Amt bestätigt. Vor ihrer Zeit als EKS-Präsidentin hatte sie die Abteilung für Spezialseelsorge der reformierten Kirche des Kantons Zürich geleitet. 2011 bis 2014 war die Pfarrerin bereits einmal Mitglied des Rats des Evangelischen Kirchenbunds und Präsidiumsmitglied der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen der Schweiz. 18 Jahre arbeitete Famos als Gemeindepfarrerin in Zürich-Enge und Uster.

Der Tod, die Vergewaltigungen und Schändungen, die Folter und Menschenverachtung haben das Leben wenige Autostunden von uns entfernt fest im Griff. Wie soll das alles gut kommen? Wird Gott die getöteten Soldaten auferwecken, die Tränen ihrer Eltern trocknen, die zerschossenen Häuser im Himmel neu aufbauen? Wird er die Mörder und Vergewaltiger zur Rechenschaft ziehen? Aber wie soll das überhaupt gehen?

Ewiger Karsamstag

Statt vor einem leeren Grab zu stehen, hören wir von Massengräbern, in denen die russischen Besatzer Zivilisten verscharrt haben. Wir sehen keine alte Prophezeiung erfüllt, sondern fühlen uns hilflos in eine längst überwunden geglaubte Zeit zurückversetzt.

Wer aufrichtig ist und seine Gefühle nicht im religiösen Kitsch ertränken will, wer der Erde und ihren Menschen treu bleibt, kann jetzt nicht ohne schlechtes Gewissen in den Osterjubel einstimmen. Und es ist ja nicht nur der Krieg, da gibt es noch all die anderen Karfreitage: eine Trauer um einen lieben Menschen, die nicht enden will, eine Krebserkrankung, bei der Menschen ihre Verzweiflung von der einen Chemotherapie in die nächste mitnehmen müssen. Wir wissen nicht, wie es Ostern werden soll.

Es ist, als ob wir immer wieder am Karsamstag aufwachen: Es will nicht Ostern werden. Gott bleibt weg. Tot, als hätte es ihn nie gegeben. Karfreitag ohne Ostern ist ewiger Karsamstag.

Gefühlte Gottverlassenheit

Aber vielleicht ist es gut, am Karsamstag innezuhalten: Dann, so bekennen wir im Apostolischen Glaubensbekenntnis, ist Christus in das Reich des Todes hinabgestiegen. Der Ort der gefühlten Gottverlassenheit wurde durch seine Gegenwart erfüllt.

Als kein Mensch ihn sah, als das Reich Gottes nur noch Utopie schien, hat er sich zu den Toten gelegt und ist somit zu all denen gekommen, die sich fühlen wie im ewigen Tod, in der ewigen Finsternis. Dadurch hat er dem Tod den Stachel gezogen, weil wir seitdem hoffen, dass selbst der Tod uns nicht trennen wird von Gottes liebevoller Fürsorge.

Karsamstag hält beides zusammen. Den Tod, die Gottverlassenheit und die Wandlung zum neuen Leben. Das alles ist am Karsamstag geschehen. Sehen kann man es nur von Ostern her.

Trotzdem wird Ostern

Karfreitag und Ostern sind nie nur ein Datum im Feiertagskalender. Sie ziehen sich als Realität durch unsere Leben. Das erinnert uns daran, dass wir nie ganz in der Welt, in ihrem Leid, aber auch nicht in unseren beschränkten Möglichkeiten und unserer Ohnmacht gefangen sind.

Mich beeindrucken alle Menschen, denen es gelingt, der Gleichzeitigkeit von Karfreitag und Ostern in ihrem Leben Ausdruck zu verleihen und somit den Osterglauben zu bezeugen. 

Da sind beispielsweise die ukrainischen Künstler, die Ikonen auf Munitionskisten malen und so bei den Kriegsbetroffenen Mut und Hoffnung verbreiten. Da sind die syrischen Christen, die im Elend von Krieg und Erdbeben ihre Kirchen öffnen für die Menschen begleiten durfte und mit denen ich erlebt habe, dass wir genau jetzt getragen sind von Gott. 

Ohne Erklärung

Karfreitag und Ostern haben keine Erklärung. Sie rechtfertigen das Leid nicht. Aber durch ihre Gleichzeitigkeit sind sie ein Fenster für uns Menschen. Der Krieg, die erdbebengeschädigten Städte, die Krankheit sind nicht weg, aber die Kraft von Ostern leuchtet in sie hinein.

Im Glauben, dass neben Karfreitag auch immer Ostern ist, erkennen wir, dass Christus bei uns ist. Mitten im Leid, in der Trauer, der Ungewissheit. Mit ihm erwarten wir, was wir alle nicht haben kommen sehen.