Recherche 14. Januar 2022, von Christian Kaiser

«Licht hat doch immer mit dem Göttlichen zu tun»

Kunst und Kirche

Die walisische Künstlerin Bethan Huws wurde für die 7. Austragung von «Kunst in der Krypta» engagiert. Im Interview plaudert sie über die Beziehung zwischen Religion und Kunst.

Früher haben Sie eher mit organischen Materialien gearbeitet. In Winterthur zum Beispiel waren in den letzten Jahren u.a. ein Federtisch («Table of Feathers» im Gewerbemuseum) oder Boote aus Riedgras (Kunstmuseum) zu sehen. Was interessiert Sie an der Arbeit mit Neonlicht?

Bethan Huws: Meine erste Neon-Installation stammt von 2006; ich habe ein berühmtes Readymade von Marcel Duchamps von 1914, den Flaschentrockner, mit Neonröhren nachgebaut (Anm. d. Red.: Das Werk «Bottle Rack» des Dadaisten Duchamp gilt als erstes sogenanntes «Readymade»; das sind zu Kunst erklärte allgemeine Gebrauchsgegenstände). Das war ein dreidimensionales Werk. Ich habe ihn als Baumimitation in einem Film benutzt, als kleinen Scherz.

Sie arbeiten also schon seit 15 Jahren mit Neonlicht. Vor diesem Interview konnte ich einen kleinen Jungen beobachten, der in einem Restaurant ganz in sich versunken in der Lichtprojektion aus einem Beamer herumgetanzt ist. Woher kommt diese menschliche Faszination für farbige Beleuchtung?

Licht ist immer attraktiv und Farbe sowieso. Halten Sie einem Menschen zwei Zeichnungen hin, eine in Schwarzweiss und eine in Farbe; sie oder er wird sich immer zur Farbe hingezogen fühlen. Farbe ist aufregend, sie berührt etwas in uns, das ist etwas Instinktives.

Bethan Huws (62)

Die Künstlerin Bethan Huws wurde in Bangor im Norden von Wales geboren. Seit den 1990ern wird ihre Kunst weltweit aus­gestellt. Mit der Schweiz ist Huws eng ver­bunden. In Zürich unterrichtete sie an der Hochschule der Künste als Gastdozentin. Ihr Werk wurde mit Einzelausstellungen in Kunst­museen ge­würdigt (Bern, St. Gallen, Zug, Winterthur). St. Gallen, Winterthur und Zug zeigen Kunst­werke von ihr im öffent­lichen Raum. Zum aktuellen Werk im Grossmünster findet am 4. Februar ein Expertengespräch statt. Treffpunkt ist um 18 Uhr in der Krypta.

Und das Licht?

Oh, das Licht hat doch mit dem Göttlichen zu tun. Seine Symbolkraft steckt in unserer Sprache: Das Licht sehen oder selbst sein, in der Sonne stehen usw.

Was ist mit Ihnen? Schauen Sie gern ins Licht?

Ich benutze Licht als künstlerisches Material nicht wegen seiner göttlichen Symbolik. Sondern wegen seiner Nähe zur Werbung. Neon kommt ja aus der Reklame. Und wofür ich hier in dieser Ausstellung Werbung mache sind wunderschöne mittelalterliche Steinreliefs. Meine Hoffnung ist, dass die Leute, die meine Installation sehen, neugierig werden und im Münster nach den Originalen suchen. Und versuchen, die Symbolik in den Reliefs zu lesen. Besonders die Gesten der Figuren im Guido-Relief. (Anm. d. Redaktion: Das Guido-Relief aus dem 12. Jahrhundert befindet sich über einer Säule am Aufgang des Südportals. Es diente Bethan Huws als Vorlage für die sechs Männerfiguren im Zentrum ihrer Installation.)

Sie machen also Werbung für die Kirche mit den Mitteln der Kunst?

Nicht für die Kirche, aber für die Qualität dieser mittelalterlichen Arbeiten. Die Präzision der Zeichnung. Und die Bedeutung, die in der Darstellung der Hände liegt. Oder in diesem menschenfressenden Monster hier (zeigt auf die liegende Installation in grünem Licht rechts). Diesen Löwen habe ich oben in der Kirche gefunden, der Hase stammt von hier aus der Krypta.

Wie ist ihr Verhältnis zum Mittelalter?

Oh, ich liebe mittelalterliche Kunst! Ich betrachte sie sehr häufig. Ich habe ja über Marcel Duchamps geforscht und von ihm habe ich viel über die Kunstgeschichte gelernt, und er hat sich sehr eingehend mit dem Mittelalter beschäftigt. Die wenigsten wissen das.

Auch Duchamps holte sich also Inspiration aus der mittelalterlichen, sakralen Kunst?

Ja, ich denke sehr viele Künstler lassen sich von den mittelalterlichen Darstellungen und Malerei beeinflussen.

Und welche Rolle spielt die Religion dabei?

In Duchamps Werk eine sehr grosse, und ich musste über die Beziehung von Religion und Kunst viel lernen. Als ich ein Kind war musste ich zur Kirche gehen, und ich liebte die biblischen Geschichten. Ich bin also mit einer religiösen Kultur aufgewachsen.

Keltische Spiritualität?

Nein, überhaupt nicht. Methodistisch-calvinistisch (lacht)! Meine Mutter war eine Sonntagsschullehrerin und ein Grossteil des sozialen Lebens spielte sich rund um die Kirche ab. Und wir liebten es, als Kinder dort hinzugehen. Das ist also wirklich ein Teil von mir. Aber Duchamps war Katholik, und diese Spiritualität ist sehr anders. Ich musste über Hostien und die ganzen Rituale lernen, und das bereicherte mich zusätzlich.

Und beeinflusste Ihre Religiosität?

Ich würde mich nicht als religiös bezeichnen, aber die Schönheit der Geschichten in der Bibel berührt mich nach wie vor. Ich verstehe sie als Allegorien über Ethik und Moral.

Das scheint den Kern Ihres künstlerischen Werks auszumachen: Geschichtenerzählen rund um ethische Themen mit den Mitteln der Kunst?

Ja, es geht ums Fragestellen: Wir müssen uns selbst und unsere Urteile und unser Verhalten in Frage stellen – mehr als alles andere. Wir sollten viel mehr gelehrt werden zu hinterfragen. Das ist die Königsdisziplin des Denkens. Es geht doch darum, offen zu bleiben, statt vorschnell oder im Voraus zu beurteilen.

Ihre Kunst ist eine philosophische?

Ich habe sehr viel Philosophie gelesen. Aber in der Philosophie dreht sich alles ums Denken. Um Beurteilungskriterien dafür, was gut und was schlecht ist. Seit es Konzeptkunst rund um diese fundamentalen Fragen gibt, wird auch viel Heuchelei und Mist produziert.

Und welche Geschichten, die Sie hier in dieser Ausstellung erzählen, ist Ihnen die wichtigste?

Ich denke, das hier (zeigt auf die dem Guido-Relief entlehnten sechs Männerfiguren). Das erinnert mich an ein Werk von Bruce Naumann. Dort gibt es auch eine Erdolchungsszene. Aber primär wollte ich eine Beziehung schaffen zum bunten Glas der Kirchenfenster – hier im Grossmünster von Polke und Giacometti, aber auch generell zum farbigen Licht in mittelalterlichen Kathedralen. Tagsüber scheint das Licht aus der Kirche hier in die Krypta hinunter und das Kunstlicht des Neon hinauf ins Kirchenschiff. Es findet beidseitig eine Vermischung statt.

Eine Art Lichtdialog?

Ja, das ist genau, was ich wollte. Aber schauen Sie mal hier (zeigt auf die Steckleisten und Kabelführungen hinter der Neoninstallation): Verrückt nicht, das sieht von vorne so simpel aus, aber dahinter verbirgt sich ein wahnsinniger Haufe Elektrizität. Und ist das nicht ein schöner, anfänglich nicht beabsichtigter Nebeneffekt dieser Installation; zu zeigen, wie genial eigentlich Kirchenfenster sind?

Wunderschön und deutlich nachhaltiger und stromsparender.

Ja, eigentlich unzeitgemäss. Ich werde in nächster Zeit einem Haufen Neonkunst den Stecker ziehen müssen.

Also werden wir in absehbarer Zeit Buntglasfenster von Ihnen sehen?

Ja, das ist sicher. Und der Grund für die monumentale Grösse meiner Neon-Figuren ist der hier (zeigt auf die riesige Steinstatue von Karl dem Grossen neben dem Eingang zur Krypta). Es ist nicht schön, ihn hier zu haben. Er ist viel zu gross für den Platz! Andere Künstler, die hier ausgestellt haben, drehen ihm den Rücken zu, versuchen zu ignorieren, dass er da ist.

Aber Sie dachten, jemand muss ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen?

Genau! Und weil er hier eingelagert ist, habe ich hier drüben (zeigt auf die vertikale Installation rechts) auch eine Art Kunstregal installiert. Um darauf zu verweisen, dass sie die Krypta zum Abstellraum für einen Kaiser gemacht haben. Aber ich wollte natürlich mit meiner Kunst, auch einfach die Schönheit der Architektur dieser Krypta an sich ins Licht rücken.