Recherche 16. März 2022, von Lukas Bärfuss

Die Predigt vom Zusammenhang

Gastbeitrag

Der Schriftsteller Lukas Bärfuss setzt sich mit den Seligpreisungen auseinander. Und er ruft dazu auf, die Grenzen zu überwinden, weil sie in Wahrheit gar nicht existieren.

«Er richtete seine Augen auf seine Jünger und sagte: Selig, ihr Armen, denn euch gehört das Reich Gottes. Selig, die ihr jetzt hungert, denn ihr werdet gesättigt werden. Selig, die ihr jetzt weint, denn ihr werdet lachen. Selig seid ihr, wenn euch die Menschen hassen und wenn sie euch ausstossen und schmähen und euren Namen in Verruf bringen um des Menschensohnes willen. Freut euch und jauchzt an jenem Tag; denn siehe, euer Lohn im Himmel wird groß sein. Denn ebenso haben es ihre Väter mit den Propheten gemacht. Doch weh euch, ihr Reichen; denn ihr habt euren Trost schon empfangen. Weh euch, die ihr jetzt satt seid; denn ihr werdet hungern. Weh, die ihr jetzt lacht; denn ihr werdet klagen und weinen. Weh, wenn euch alle Menschen loben. Denn ebenso haben es ihre Väter mit den falschen Propheten gemacht.»

Das liest sich so leicht, und es versteht sich so schwer. Lassen Sie uns an diesem Sonntagmorgen die Sache mit frischem Kopf und Schritt für Schritt angehen und zuerst ein wenig die Form betrachten.

Es handelt sich bei den Seligpreisungen um ein Versprechen. Ein Versprechen ist eine merkwürdige Sache. Ein Phänomen der Sprache, nur durch Sprache, nur in der Sprache möglich. Doch ein Versprechen, gleichzeitig, weisst über die Sprache hinaus in den Raum, den wirklichen, und in die, und das ist doppelt merkwürdig, in die Zeit.

Ein Versprechen verweist stets auf die Zukunft. Ein Versprechen ist eine Vorhersage, eine Prophezeiung, dass irgendwann ein Ereignis eintreten oder ausbleiben möge, das mit dem Versprechen definiert wird.

Nun kennt niemand die Zukunft sehen und deshalb kann niemand garantieren, dass jenes in Aussicht gestellte Ereignis eintreten werde. Trotzdem wird es durch das Versprechen behauptet. Es etabliert sich also eine Autorität. Der Versprechende verlangt Hoheit: ich bestimme darüber, was sein wird. Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um mein Versprechen einzuhalten.

Im Gegenzug wird Vertrauen und Loyalität gefordert: wenn du mir folgst und das Versprechen annimmst, wirst du später dafür belohnt.

Ein Versprechen bedarf der Haftung, denn was, wenn dieses Versprechen nicht eingehalten wird? Was droht?

Der Versprechende riskiert seine Glaubwürdigkeit. Ein gebrochenes Versprechen ist enttäuschte Verlässlichkeit und damit ein Verlust an sozialem Status.

Nun gibt es im vorliegenden Fall, im Lukas-Evangelium, eine Spezialität. Hier spricht jemand, der sich nicht nur als Autorität begreift, er begreift sich als Sohn Gottes, des Allmächtigen, in den dessen Namen und Auftrag er spricht. Dieser Gott entscheidet endgültig, er ist der Herr über die ersten und die letzten Dinge.

Dieses Buch, das Evangelium nach Lukas, wie die Bibel überhaupt, liebt Versprechungen und Ankündigungen. Ein Engel erscheint und verspricht: du wirst den Heiland auf die Welt bringen. Gott tritt vor Abraham verspricht: Geh fort aus deinem Land, aus deiner Verwandtschaft und aus deinem Vaterhaus in das Land, das ich dir zeigen werde! Ich werde dich zu einem grossen Volk machen, dich segnen und deinen Namen groß machen.

Woher kommt die Schwäche dieses Gottes, dieses Buches für Versprechen?

Ein Versprechen ist ein performativer Sprechakt. Er setzt einen Vertrag in die Welt, etabliert einen Handel. Aber angenommen, der eine Vertragspartner, der ja Gott ist und allmächtig, hält seinen Teil nicht ein - was droht ihm? Vor ein Gericht kann man ihn nicht ziehen, und sein Status ist absolut und durch nichts zu reduzieren. Aber dies ist nur ein Teil des Problems.

Ein Versprechen betrifft wie gesagt die Zukunft, aber bei Gott im Himmelreich ist alle Zeit aufgehoben. Die Ewigkeit ist keine physikalische, sie ist eine metaphysische Grösse, eine Singularität. In der Ewigkeit gibt es keine Vergangenheit, keine Gegenwart und keine Zukunft, all dies fällt dort zusammen.

Eine Formel wie: «ich werde, sie werden…» ist in Bezug auf die Ewigkeit sinnlos. Und das hat Folgen. Für die Jünger zu Jesu’ Zeiten lag das Himmelreich in der Zukunft, so wie es für uns, zweitausend Jahre später, immer noch in der Zukunft liegt. Das Himmelreich war damals wie heute und gestern und auf immer unverfügbar. Warum eine Sprechform wählen, deren Voraussetzung die Zeitlichkeit ist, wenn sich die Sache, um die es geht, eben das Himmelreich, gerade eben die Zeitlichkeit aufhebt?

Dieses spezifische, göttliche Versprechen besitzt einen schlagenden Vorzug:  jener, der es gibt, muss nicht fürchten, dass ihn jemand zur Rechenschaft zieht, wenn er es nicht einhält. Einen Verlust an Ansehen oder Glaubwürdigkeit braucht er nicht zu fürchten. Für ihn ist dieses Versprechen also wohlfeil, um nicht zu sagen: umsonst.

Trotzdem wird ein Handel angeboten:  Dein Lohn liegt in der Zukunft, den Preis hast du im Heute zu bezahlen. Welchen Preis verlangt Jesus also von den Jüngern auf jenem Feld, von jenen, die ihm zuhören?

Es sind die Armen, die er anspricht, jene, die Hunger leiden. Jesus geht davon aus, dass die Menschen, dieser Armut entkommen wollen.

Lassen Sie uns, auch wenn es in dieser Stadt, hier in Zürich, schwierig sein mag, kurz über die Armut nachdenken.

Armut bedarf eines Unterschieds. Wenn alle gleich viel oder gleich wenig besässen, wenn also unter den Menschen völlige Gleichheit herrschte, dann wäre der Begriff der Armut sinnlos. Armut braucht den Vergleich, Armut braucht den Unterschied, Armut braucht den dialektischen Gegenbegriff, den Reichtum. Armut gibt es nur, wenn es Reichtum gibt.

Jesus verspricht keine Gleichheit. Er verspricht nicht die Aufhebung der Armut. Im Himmelreich werden die Armen reich, in der Hölle werden die Reichen arm sein.  Jesus stellt das Prinzip nicht in Frage. Es wird im Himmelreich immer noch Arme und Reiche geben. Bloss die Rollen werden vertauscht.

Wenn aber die Reichen arm sein werden, was kann ihnen dann versprochen sein? Das gleiche Elend, einfach mit vertauschten Vorzeichen?

Diesem Versprechen geht eine Annahme voraus. Sie bleibt zwar unausgesprochen, aber ohne sie würde das Versprechen sinnlos. Diese Annahme lässt sich wie folgt zusammenfassen: Ich sehe Euch Armen und ich weiss, dass ihr leidet, nicht so sehr an der Armut selbst, sondern deshalb, weil ihr Menschen seht, die diese Armut nicht teilen und deshalb nicht leiden, jedenfalls nicht an der Armut. Ich weiss, ihr leidet Hunger, aber ihr leidet nicht zuerst am Hunger selbst, sondern daran, dass ihr die anderen seht, die Satten, und die leiden nicht.

Die Voraussetzung für dieses Versprechen ist also das Bewusstsein für den Unterschied. Jemand hat etwas, das mir fehlt. Ein Unterschied, der mich Leiden macht. Wenn ich das hätte, was andere besitzen, dann müsste ich nicht leiden. Also muss ich das bekommen, was andere bereits haben. Dieses Gefühl ist zutiefst menschlich, jeder kennt es, es hat einen Namen, und dieser Name lautet Neid.

Wir können deshalb sagen, dass Jesus nicht die Armen, nicht die Hungernden anspricht, er spricht die Neider an. Warum tut er das? Warum sagt er nicht: es wird keine Armen und keine Reichen mehr geben, nur noch Gleichheit?

Jesus nennt sich Sohn Gottes. Sein Reich, so sagt er, sei nicht von dieser Welt. Sogar wenn das stimmt, muss er sich doch im Diesseits um seine Jünger kümmern. Er muss sich um seine Followers kümmern, er muss Politik machen.

Er weiss auch, dass Armut relativ ist, auch unter den Elenden keine Gleichheit herrscht, jeder sich mit dem anderen misst und der Neid und die Eitelkeit kein Ende nehmen.

Neid ist einer der sieben Todsünden. Erst durch den Neid des Teufels kam der Tod in die Welt so steht es in einem anderen Buch der Bibel, in der Weisheit Salomos. Sünde oder nicht, Neid ist gesellschaftlich und politisch wirksam. Man kann ihn ansprechen, man kann ihn verwandeln in Wut und in Agitation. Sprich die Neider an, und viele werden dir folgen.

Neid bedarf einer Vorstellung dessen, was Besitz ist, was mir gehört, worüber ich verfügen darf - und es stellt diesen Besitz in ein Verhältnis mit dem Besitz der anderen. Begehren allerdings soll ich es nicht, das gebietet der Dekalog. Privateigentum hat auch eine christliche Wurzel. Gleichzeitig verdammt das Lukas-Evangelium den Reichtum und die Reichen klar und lässt keine Zweifel, was mit den Reichen geschehen soll. In beinahe jedem Kapitel findet man eine Spitze gegen, zusammengeführt aber werden sie in der Parabel von Lazarus.

Lazarus, an der Aussatz erkrankt, segnet das Zeitliche. Mit ihm stirbt ein Reicher. Lazarus findet sich im Schoss Abrahams wieder, der Reiche aber muss in die Hölle. Von dort aus sieht er die beiden, Abraham und Lazarus, er sieht, wie der Aussätzige getröstet wird, und er wagt die Bitte, man möge ihm, dem Verurteilen, doch immerhin die verbrannte Zunge kühlen und seine Leiden etwas lindern. Abraham antwortet so eindeutig wie grausam: Lazarus hatte ein schlechtes Leben, dir gehört jetzt der schlechte Tod. Das nennt man ausgleichende Gerechtigkeit. Abraham erlaubt es dem Reichen nicht einmal, seine Verwandten zu warnen, damit sie sich bekehren und ihnen sein Schicksal erspart bleibe. Wozu auch, meint Abraham, es steht doch alles bei den Propheten, die Leute müssten halt nur lesen.

Diese Legende ist in der Aussage arm, aber reich ist sie in ihren erzählerischen Einzelheiten. So sieht der Reiche Abraham und Lazarus in ihrer Seligkeit, erkennt das Himmelreich, ist sich seiner Existenz also bewusst. Er leidet nicht so nur an der Hölle, er leidet am Himmelreich, denn es ist unerreichbar, wie Abraham bestätigt: Es bestehe eine Kluft, die niemand überwinden könne, niemals.

Bei Gott bleiben also die Unterschiede sichtbar und sollen nicht überwunden werden. An dieser Stelle folgt auch der neutestamentliche Gott dem alten Prinzip der Rache. Aus gutem Grund, er muss schliesslich missionieren, und revanchistische Gefühle sind leicht zu mobilisieren. Wer träumt nicht gelegentlich, dass die siegreichen Widersacher eines Tages durch eine strafende Instanz zur Rechenschaft gezogen werden? Wer wünscht sich Erlösung für seine Feinde?

Der Vater macht das Gesetz, Abraham setzt es als Staatsanwalt und Richter durch, die Vollstreckung des Urteils überlässt er dem Sparifankerl.

Gegen Abrahams Aussage spricht die menschliche Erfahrung. Wer gut lebt, stirbt auch besser - es braucht Blindheit, das zu übersehen. Gerichte gibt es in dieser Sache nicht, die Armen werden nie entlohnt. Sie vererben ihre Armut vielmehr an ihre Kinder. Jede Hoffnung, dass sich daran etwas ändern könnte, ist höchstens vorübergehend. Das nächste Beispiel für die unausrottbare Ungerechtigkeit findet sich in der heutigen Zeitung.

Sich in Rachefantasien zu flüchten, verleiht Macht. Wut kann zu einer Bewegung werden, und das Versprechen, eine Lösung zu finden, erlöst zu werden von der Armut, schafft soziale Identifikation.

Armut stinkt. Sie ist nicht schön. Mit der Armut kommt die Scham und mit der Armut kommt die Peinlichkeit. Mit der Armut kommt das Leiden an sich selbst, an der Welt, am Anderen. Armut tötet, sie tötet Menschen, sie tötet die Freundschaft und sie tötet die Liebe. Vielleicht kann man dasselbe vom Reichtum sagen, aber gewiss ist arm und reich kein Gegensatz, sondern ein Zusammenhang. Und wir brauchen nicht die Umkehrung des Gegensatzes, die Änderung der Vorzeichen, wir brauchen einen anderen Zusammenhang.

Denn falls es eine Hölle geben sollte, falls es den Hades geben sollte, dann werden dort wir uns alle, Ihr und ich, gewiss dort wiederfinden. Oder kennt jemand von Euch einen Gerechten? Ist jemand von Euch in seinem Leben einem Gerechten begegnet? Jemand, von dem ihr sicher sagen könnt, nach allen Kriterien, die Gott und seine Propheten definieren, dass er den Eintritt ins Himmelreich auf sicher hat?  Einen solchen Menschen kenne ich nicht. Ich kenne keinen solchen Gerechten, und ich weiss auch nicht, wo er leben sollte. Wie kann es in einer ungerechten Welt einen Gerechten geben?

Wenn wir der Hölle entkommen wollen, hier und im Jenseits, dann ist die einfache Umkehrung des alten Prinzips keine gute Lösung. Und es wird auch nicht helfen, auf eine Autorität zu hoffen, die das regeln könnte, auch nicht auf eine Religiöse.

Jesus macht aus seinen Absichten keinen Hehl: Ich sage euch: Jedem, der hat, wird gegeben werden; dem aber, der nicht hat, wird auch das noch genommen werden, was er hat. Diese meine Feinde aber, die nicht wollten, dass ich König über sie bin, führt hierher und macht sie vor meinen Augen nieder. Wenn ihr aber von Kriegen und Unruhen hört, so erschreckt nicht! Denn das muss zuvor geschehen, aber das Ende kommt noch nicht so bald. Dann sagte er zu ihnen: Erheben wird sich Volk gegen Volk und Reich gegen Reich, gewaltige Erdbeben wird es geben und da und dort Seuchen und Hungersnöte, furchtbare Dinge werden geschehen und vom Himmel her gewaltige Zeichen erscheinen.

Wir werden immer in einer Win-Lose-Situation verdammt sein. Was für den einen der Himmel, ist für den anderen die Hölle.

Wer kann sich einen solchen Gott wünschen?

Aber in einer Hinsicht spricht dieses Buch doch die Wahrheit. Menschen haben eine tiefe Empfindung für Ungerechtigkeit, und sie haben ein unausrottbares Bedürfnis, dieser Ungerechtigkeit zu entkommen.

Rachegefühle sind politisch wirksam, Wut kann ganze Gesellschaften verändern, aber für das eigene Leben ist beides Gift. Man kann sich nicht vorstellen, wie ein Mensch, der Wut und Rache lebt, jemals zufrieden wird. Man kann sich nicht vorstellen, wie er liebt und wie er geliebt wird. Rache und Wut verschaffen Lust, aber sie ist obsessiv und ohne Perspektive. Und doch braucht es sie, damit sich die Gesellschaft verändert.

Wir brauchen beides, die Wut und die Liebe. Die Wut verändert die Gesellschaft, die Liebe verändert die Menschen.

Liebe kennt keine Rache, sie lebt von der Vergebung und von der Gnade. Wir brauchen beides nicht zuerst von Gott, wir brauchen es von unseren Nächsten. Vergebung und Gnade religiöse Konzepte, und sie sind zuerst soziale Praxis und lebendige Empfindung.

Ungerechtigkeit sticht und brennt. Das wissen wir, und deshalb fürchten wir uns vor ihr und der Empfindung, die sie auslöst. Oft begnügen wir uns, nicht die Ursache, sondern die Reaktion, statt die Ungerechtigkeit die Empfindung anzugehen.

Wir verschliessen die Augen, damit wir sie nicht sehen, wir halten uns die Ohren und die Nase zu, so hören und so riechen wir sie nicht.

Aber was ist das für ein Leben, ein blindes, ein taubes, eines ohne Geruch oder Geschmack?

Ungerechtigkeit bekämpft man aus eigenem Interesse. Ungerechte Verhältnisse haben die Tendenz, sich auszubreiten. Ungerechtigkeit ist ansteckend. Sie stört den Zusammenhalt, bevor sie ihn zerstört. Zusammenhalt kommt überhaupt erst durch den gemeinsamen Kampf gegen Ungerechtigkeit zu Stande. Alle anderen Methoden beruhen auf Ungleichheit, auf den Vorteil, auf den Unterschied - und eben nicht auf dem Zusammenhang.

Gegen die Angst und gegen den Schmerz hilft Reichtum wenig. Materielle Existenzängste lassen sich nur begrenzt durch ein höheres Einkommen bekämpfen. Erfolgreicher ist hier, die Verhältnisse in ihrem Zusammenhang zu begreifen, oder, mit einem anderen Wort, auf die Beziehungen zu setzen, also auf den menschlichen Zusammenhang.

Dazu braucht es zuerst Anerkennung. Die Anerkennung der Schwäche, der eigenen und der Schwäche der Mitmenschen. Deine Angst ist auch meine Angst, dein Schmerz ist auch mein Schmerz. Wir wissen beide nicht, was die Zukunft bringt, sicher ist nur, dass wir alle sterben müssen. Wenigstens hier ist das Leben gerecht durch Gleichbehandlung.

Diese Anerkennung uns die Bereitschaft, den anderen nicht auf seinen Schmerz und auf seine Angst zu reduzieren, ihn also nicht in seiner Gleichheit, sondern in seinem Anderssein zu erkennen, dies ist der Anfang einer gerechten Beziehung. In ihr ist das einzelne gleichzeitig das gemeinsame Interesse. Gerechtigkeit ist immer das Interesse aller, und wenn wir den christlichen Begriff der Seligkeit verwenden wollen, dann wird sie erst möglich sein, wenn alle selig sind. Eine Gruppe von Menschen, die ein Mitglied ungerecht behandelt, kann niemals gerecht sein, egal, wie gross diese Gruppe ist.

Diesen Zusammenhang sollten wir als Gesellschaft erkennen und bewältigen. Welche Aufgabe könnte lohnender sein? In der Kirche, in der Wirtschaft, in der Politik, in der Kunst: in einer gerechten Gesellschaft ist das eine nicht vom anderen getrennt. Wie können wir von einer Demokratie reden, wenn diese von einer zutiefst ungerechten und mörderischen Wirtschaft bezahlt wird? Wie können wir Bereiche dulden, in der Menschen systematisch ausgebeutet werden, die Armen in der Hölle braten, die Reichen aber in Abrahams Schoss fläzen?

Darum überwindet alle Grenzen, es gibt sie nicht in der Wirklichkeit! Denkt nicht in Gegensätzen, denkt in Zusammenhängen! Macht keine Versprechen, denn niemand, auch ihr nicht, kennt die Zukunft! Verlegt nichts in die Hoffnung! Tretet in Beziehung! Geht hinaus, überwindet die Gegensätze und schafft Zusammenhänge, jetzt, hier, sofort, für immer!

Amen.

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Die Predigt vom Zusammenhang
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Lukas Bärfuss

Das Werk von Lukas Bärfuss wurde mehrfach ausgezeichnet. 2019 erhielt er den Georg Büchner-Preis. Seine Theaterstücke werden weltweit gespielt. Seine Romane «Hundert Tage», «Koala» und «Hagard» erschienen zwischen 2008 und 2017. Zuletzt veröffentlichte er den Essayband «Die Krone der Schöpfung». Bärfuss unterrichtet an verschiedenen Hochschulen.

Die Predigt hielt Lukas Bärfuss im Grossmünster in Zürich am 6. Februar.