«Mir händ nid Leue und Bäre, / Nid Stier und Adler im Fäld. / Mir händ drei silberigi Stärne, / Die glitzere use i d Wält!»
So lernten es Aargauer Kinder vor fünfzig Jahren in den Lesebuchversen der Mundartdichterin Sophie Hämmerli-Marti: Die drei Sterne auf dem Kantonswappen strahlen über den Regionen – der erste über dem weiten Einzugsgebiet der Aare, der zweite im katholischen Freiamt und der dritte über die nördlichen Jurahänge und das Fricktal hin zum Rhein. Und alle drei «wache überem Schärme vom farbige Schwizerhus».
Das Werk der Aargauer Dichterin ging in den letzten Jahrzehnten vergessen – zu patriotisch? Zu nostalgisch? Eine Botschaft aus einer längst vergangenen Zeit! In diesem Jahr nun wird anlässlich ihres 150. Geburtstags mit verschiedenen Anlässen an Sophie Hämmerli-Marti erinnert.
«Mis Aargäu»
Für die kleine Sophie Marti war «mis Aargäu» zuerst das Dorf Othmarsingen. Hier erhielt sie, die Bauerntochter, Anregungen von den Eltern mit ihrem weltoffenen Geist, von der Dorfgemeinschaft, dem hochgebildeten Pfarrer Heitz und dem alten Lehrer, der die Kinder für das Singen begeisterte.
Mit zwölf kam Sophie in die Bezirksschule – ein weiter Weg nach Lenzburg und eine fremde Welt, unter den «Stadtmädchen». Doch bald entstanden Freundschaften, die Mädchen führten Schillers Dramen auf und Pfarrer Heitz gab Lateinstunden. Auch die damaligen Bewohner der Lenzburg, die Familie Wedekind, brachten Freundschaft und Anregungen. Frank, der spätere Schriftsteller, weckte in Sophie die Begeisterung für die Literatur. Mit Erika, die Sängerin wurde, besuchte Sophie das Lehrerinnenseminar in Aarau.
Im kleinen Dorf Oetlikon wirkte Sophie Marti als begeisterte Lehrerin. Aber schon nach elf Monaten wurde sie nach Hause gerufen: Die Mutter war schwer erkrankt und starb wenig später. Mit dem Unterrichten war es endgültig vorbei. Als Sophie aber wenig später den Lenzburger Arzt Max Hämmerli kennenlernte, musste der Vater doch eine andere Lösung für seinen Haushalt finden. Sophie wurde nach der Heirat Mitarbeiterin in der Arztpraxis und schon bald auch Mutter. Und diese Erfahrung gab ihrem bisherigen Schreiben und Dichten eine neue Richtung. Sie hatte als Schulmädchen Verse für die Dorfkinder geschrieben, sie hatte sich später im klassischen Stil versucht. Jetzt notierte sie Gedichte über und für ihr Kind, auf jeden Zettel, in Hefte und Kalender.
«Mis Chindli»
Eines Tages erhielt sie eine Broschüre: «Über Volkslied und Mundart», verfasst vom Aarauer Mundartforscher Jost Winteler. Kurzentschlossen schickte Sophie ihm ihre Gedichte. Seine Antwort zeigte ihr, dass sie auf dem richtigen Weg war, und schon bald erschien das erste Gedichtbändchen: «Mis Chindli, ein Liederkranz für junge Mütter»
Mit dem Heranwachsen der vier Hämmerli-Töchter veränderten sich die Themen der Gedichte, weg von der glücklichen Fürsorglichkeit zu Spiel und Lachen, Fragen, Ängsten und Trost. Die Dichterin wurde bekannt, ihre Verse standen nun in den Lesebüchern und wurden vertont: «Schneeglöggli lüt!» oder «Jo, eusi zwöi Chätzli» – schon fast ein Lumpenlied. Der Nobelpreisträger Carl Spitteler nannte sie in einem Brief «lieber Collega, fast, aber nicht ganz» – und Sophie antwortete in einem Gedicht – mit Selbstbewusstsein und Ironie.
«Läbessprüch»
Sophie Hämmerli-Marti war eine belesene und gebildete Frau, und sie war ihrem Mann dankbar, dass er ihr seine ganze Unterstützung und grossen Freiraum gewährte. So war es denn auch ein schwerer Schlag für sie, als er 1931 bei einem Autounfall ums Leben kam. Es dauerte lange, bis sie sich wieder mit ihrem Leben zurechtfand. Die schweren Erfahrungen, aber auch Hoffnung und Trost, fanden in Gedichten ihren Ausdruck, zum Beispiel in den beiden Bändchen «Läbessprüch» und «Rägeboge».
«Dis Läbe lang, dis Läbe lang / Schaff witers, tue verzelle, / Und gang no miteme früsche Gsang / Uf d Himmelstüreselle.»
Die Amsel sang, als sich Sophie Hämmerli-Marti am 19. April 1941 auf den Weg zur Himmelstüre machte.
www.sophiehaemmerlimarti.ch