Recherche 27. April 2022, von Hans Herrmann

«Diese Fragen betreffen das ganze Leben auf der Erde»

Xenotransplantation

US-Forscher verändern Tiere gentechnisch, damit ihre Organe den Menschen als Ersatzorgane dienen können. Der Zürcher Ingenieur Walter Sachs äussert als Christ Bedenken.

Während die Schweiz am 15. Mai darüber abstimmt, ob für die Entnahme von transplantierbaren menschlichen Organen eine neue gesetztliche Regelung in Kraft treten soll, kommt in den USA bereits eine ganz andere Praxis ins Gespräch: Geforscht wird an der sogenannten Xenotransplantation, bei der es darum geht, Organe, Gewebe oder Zellen über die Artgrenzen hinweg zu übertragen – etwa vom Schwein auf den Menschen.

Unlängst war auch in der Schweizer Presse von der weltweit ersten geglückten Xenotransplantation in den USA zu lesen. Der Patient, ein 57-jähriger Amerikaner, lebte eine Zeit lang mit einem Schweineherz. Nun ist er zwar verstorben, aber die Forschung an dieser Technologie geht weiter.

Bei Walter Sachs haben die Presseartikel Gedanken ausgelöst. Im Interview nimmt der in Zürich lebende evangelisch-reformierte Ingenieur aus christlicher und ethischer Sicht Stellung.

Das Ingenieurswesen ist für viele Menschen zum Synonym für das «technisch Machbare» geworden. Was geht Ihnen als Ingenieur durch den Kopf, wenn Sie Nachrichten wie jene von der ersten Xenotransplantation in den USA lesen?

Als Ingenieur bin ich fasziniert davon, dass solch ein komplexes Unterfangen geglückt ist, und bin interessiert an sämtlichen Details, die zum Gelingen beigetragen haben.

Und als Christ?

Als Christ und jemand, der sich privat wie beruflich für Nachhaltigkeit und Bewahrung der Schöpfung einsetzt, bin ich erschrocken. Wir Menschen wissen noch viel zu wenig darüber, wie die Natur funktioniert, als dass wir die Konsequenzen solch einer Operation, die ja irgendwann «Routine» werden wird, abschätzen könnten. Es gibt aus der Vergangenheit zahllose Beispiele dafür, dass wir Ingenieure die langfristigen Folgen unserer Ideen, Erfindungen und Produkte entweder gar nicht oder falsch eingeschätzt haben – vom allgegenwärtigen Mikroplastik über persistente chemische Stoffe bis hin zur Atomtechnologie und zum gentechnisch veränderten Mais. Die «Schädlinge», gegen welche die Gentechnik eigentlich schützen sollte, sind inzwischen immun gegen diese Veränderungen im Mais. Mit der Folge, dass dieser Mais heute sogar mehr Spritzmittel benötigt als konventioneller Mais.

Walter Sachs, 54

Der Elektroingenieur lebt und arbeitet in Zürich. Walter Sachs ist tätig in der Softwareentwicklung und Präsident der Schweizerischen Vereinigung für Sonnenenergie SSES sowie VESE. Als reformierter Christ beschäftigt er sich intensiv auch mit ethischen und theologischen Fragen. Er äussert sich hier als Privatperson.

Xenotransplantation hat zwei Seiten: Einerseits kann ein Mensch, der ein neues Organ braucht, weiterleben, andererseits etabliert sich auf diesem Weg eine Praxis, die Tiere als «Ersatzteillager» für Menschen benutzt. Was ist höher zu gewichten?

Es geht nicht nur darum, dass wir Tiere für unsere Zwecke benutzen, denn dies machen wir schon seit Jahrtausenden, auch in der Medizin, etwa beim Herzklappenersatz mit biologischem Material. Die Frage könnte lauten: Welches sind die langfristigen Folgen einer Medizin, die mit genetisch veränderten Tieren arbeitet? Nicht nur für uns als Gesellschaft, sondern in erster Linie für das gesamte Leben auf der Erde? Wir wissen noch viel zu wenig über die Weitergabe von Genen, und ein Eingriff in den Genpool ist immer mit der Gefahr verbunden, dass etwas in die Welt gesetzt wird, was weder zurückholbar noch kontrollierbar ist. Schlussendlich gilt es abzuwägen: Wollen wir einzelne Menschenleben retten und dafür die Gefahr auf uns nehmen, den Genpool zum Beispiel bei Wild- und Hausschweinen dauerhaft zu modifizieren?

Wie viele Gene sind nötig, damit aus einem Tier eine Chimäre wird?
Walter Sachs, Ingenieur

Manchmal denkt man bei solchen Eingriffen ins Erbgut auch an Szenarien wie in einem Horrorfilm.

In diesem Zusammenhang stellt sich für mich folgende ethische Frage: Wenn einem Tier Menschengene «eingepflanzt» werden – wie viele Gene beziehungsweise für den Menschen brauchbar gemachte Organe sind nötig, damit aus dem Tier eine Chimäre wird? Und: Dürfen wir dieses Lebewesen dann noch töten oder ist es bereits zu «menschlich» geworden?

Dass Tiere sterben, damit Menschen leben, war ja schon immer so. Bereits die steinzeitlichen Jäger töteten Tiere, um sie zu essen. Was ist an Verfahren wie der Xenotransplantation grundsätzlich anders?

Dies ist eines der grossen Geheimnisse der Schöpfung: Leben basiert darauf, anderes Leben zu töten – sei es Tier oder Pflanze. Wir Menschen gelten aber als die «Krone der Schöpfung», die sich «die Erde untertan» machen soll. Beide Begriffe, Krone und Untertan, implizieren einen König, der über die Welt herrschen soll. Und das ist genau die Frage: Herrschen wir als Tyrann, der rücksichtslos seine eigene Komfortzone ausbaut, oder herrschen wir als «Patron», als jemand, der um die ihm anvertrauten Lebewesen besorgt ist und allen ein auskömmliches Leben ermöglichen will?

Und – wie lautet Ihre Antwort?

Für mich gilt eindeutig Letzteres: wir haben den biblischen Auftrag, die Schöpfung zu bewahren und dieser ein Umfeld zu ermöglichen, in dem sie sich auf natürliche Weise weiterentwickeln kann.

Eingriff mit der Genschere

Das Spenderschwein, das in den USA für die erste Xenotransplantation gezüchtet und getötet wurde, war kein normales Hausschwein, sondern der Klon einer genetisch veränderten und künstlich erzeugten Schweinerasse, der unter anderem die typischen Schweine-Retroviren fehlen sowie der Bauplan für bestimmte, für die Abstossung mitverantwortliche Zuckermoleküle im Erbgut. Diese wurden mit der «Genschere» herausgeschnitten. Zudem baute man zur Erhöhung der Immunakzeptanz des Organempfängers mehrere menschliche Gene in das Schweine-Erbgut ein.

Gentechnische Verfahren verändern den Bauplan des Lebens. Ist das per se ein unzulässiger Eingriff in den göttlichen «Schöpfungsplan» – oder kommt es vor allem darauf an, was wir damit anstellen?

Solange wir Menschen nur an der Oberfläche der Biologie kratzen und nicht wirklich begreifen, wie aus einer einzelnen Zelle ein komplettes Lebewesen entsteht, noch, wie Genetik überhaupt funktioniert, noch, welche Aufgaben Viren, Bakterien und Pilze im komplexen Zusammenspiel der Schöpfung haben, sollten wir mit Gentechnik extrem vorsichtig sein. Zusammengefasst: Ich denke, wenn Gentechnik irgendwie anders ersetzt werden kann, sollten wir das tun. Zudem muss nicht alles, was möglich ist, auch gemacht werden. Vor allem nicht, ohne die kurz- wie langfristigen Konsequenzen unseres Handelns ausreichend zu berücksichtigen. Wir Ingenieure sprechen hier auch von «Technikfolgenabschätzung».

Wenn man Tiere nicht auf klassischem Weg über Zeugung züchtet, sondern klont: Hätte dies Ihrer Meinung nach auch Auswirkungen auf die Seele der Tiere – angenommen, sie haben eine?

Die Frage nach der Seele ist sehr berechtigt. Was ist die Seele? Wenn man drei Personen dazu befragt, wird man wohl drei komplett verschiedene Antworten erhalten. Auch hier wissen wir also praktisch nichts. Weder, wo die Seele «wohnt», noch, ob diese nach dem physischen Tod weiterlebt, und auch nicht, wann genau diese in Lebewesen erscheint. Und «klonen» ist definitiv nicht der natürlich vorgesehene Weg, Nachwuchs zu schaffen. Was und ob dies Auswirkungen auf die Seele hat, vor allem, wenn ein Teil des Tieres in einem Menschen weiterlebt, darüber kann nur spekuliert werden. Als Ingenieur habe ich gelernt, sichere Systeme zu konstruieren. Auf der sicheren Seite wären wir, wenn wir aufs Klonen verzichteten, bis all diese Fragen beantwortet sind. Hierzu gehören auch der Respekt gegenüber der Schöpfung und Gott.

Der Tod hat sein Gutes, denn er schafft gleichzeitig Neues.
Walter Sachs, Ingenieur

Medizinischer Fortschritt ist bis heute immer als Segen begriffen worden. Im 21. Jahrhundert scheint es zunehmend aber nicht mehr um medizinische Hilfe, sondern um den endgültigen Sieg über den Tod zu gehen. Ist dies erstrebenswert?

Den Tod zu besiegen, wurde schon jahrtausendelang probiert. Bisher ohne – uns bekannten – Erfolg. Die gesamte Schöpfung basiert auf Zyklen, die in jedem Zyklus kleinen Änderungen unterliegt. Insofern hat der Tod sein Gutes, denn er schafft gleichzeitig Neues. Geburt und Tod scheinen ein Universalprinzip der Schöpfung zu sein. Und Jesus Christus hat mit der Wiederauferstehung auch gezeigt, dass der Tod nicht das absolute Ende ist.

Bis vor wenigen Jahrzehnten waren Tod und Geburt ja auch noch alltäglich ins Leben der Menschen integriert.

Richtig – mein Schwiegervater hatte während seiner Schreinerlehre noch Särge gemacht. Diese gehörten für eine Dorfschreinerei genauso zu den «normalen Aufträgen» wie die Möbel für die Aussteuer. Wir dürfen den Tod nicht länger negieren und dem Wahn der «ewigen Jugend» nachhängen. Der Tod ist weder schlimm noch etwas, vor dem man Angst haben muss. Dies berichten auch Fachpersonen, die in der palliativen Pflege aktiv sind. Zudem ist der «Sieg über den Tod» relativ zu betrachten: Wir als Gesellschaft betreiben quasi einen beliebigen Aufwand, um einzelne Leben zu retten, gleichzeitig verschliessen wir aber die Augen vor ertrinkenden Flüchtlingen oder den katastrophalen Auswirkungen von Kriegen auf Menschen, Tiere und Pflanzen.

Sehen Sie absolute ethische Grenzen aus christlicher Sicht? Und wo liegen diese?

Ja, absolute ethische Grenzen gibt es bestimmt, und jeder Mensch wird diese anders setzen. Für mich wäre es extrem spannend zu erfahren, wo andere Personen ethische Grenzen sehen, absolute oder auch relative. Für mich persönlich habe ich eine Antwort gefunden und versuche, danach zu leben. Die zehn Gebote sind zum Beispiel eine gute Richtschnur. Wahrscheinlich verhält es sich bezüglich der ethischen Grenzen ähnlich wie mit den Genen: Erst die Vielfalt und die schier unendlichen Kombinationsmöglichkeiten machen Leben aus.