Recherche 01. November 2019, von Leonie Maurer

Ein Zeitgenosse mit vielen Talenten

Buchrezension

Peter Paul Cadonau war Pfarrer, Dichter und vor allem ein Romane durch und durch.

Peter Paul Cadonau war nicht nur Theologe und Seelsorger. Zwei Themen lagen dem Pfarrer aus Waltensburg während seiner Arbeit im Dienste der Kirche immer am Herzen: die Pflege und der Erhalt der romanischen Sprache und die alltagstaugliche Interpretation der Heiligen Schrift. 
Cadonau war sowohl Mitbegründer als auch Redaktor der romanisch-reformierten Zeitung «la casa paterna». Seine literarischen Aktivitäten beschränkten sich aber nicht nur auf diese Zeitung: Er verfasste Hörspiele, Theaterstücke und dramatische Texte. Wenn man von den literarischen Tätigkeiten Cadonaus spricht, gehört insbesondere die Übersetzung der Bibel ins Romanische dazu. Zwar hatten Luci und Steffen Gabriel, ebenfalls Pfarrer und Schriftsteller, bereits 1648 die Bibel übersetzt. Das von ihnen gebrauchte Surselvisch erschien Cadonau aber veraltet.

Suche nach Wahrhaftigkeit

Das Ringen um die zeitgemässe Interpretation der Heiligen Schrift zog sich wie ein roter Faden durch das Leben des Pfarrers aus der Surselva. Bereits während des Theologiestudiums in Basel, merkte er, dass ihm die dort vermittelte Theologie zu wissenschaftlich war, worauf er an die theologische Fakultät in Zürich wechselte. Dort begegnete ihm Leonhard Ragaz, der ihn stark mit seiner Lehre vom religiösen Sozialismus beeinflusste. Nach seiner Ordination am 28. Juli 1914 trat er seine erste Pfarrstelle in Luven-Flond an. Das sollte nicht seine einzige Kirchgemeinde bleiben: In den vierzig Jahren, in denen er für die Bündner Kirche tätig war, amtete er als Pfarrer in Ardez und Ftan, Thusis und Trin. Peter Paul Cadonau war in seiner Funktion immer ein Suchender geblieben. Sein Anspruch an die Authentizität der eigenen Spiritualität und die Praxis des gelebten Glaubens in der Gemeinde führten dazu, dass er sich von Leonhard Ragaz distanzierte. Er wandte sich nun dem Basler Karl Barth und dessen Wort-Gottes-Theologie zu.

Breit recherchiert

Horst F. Rupp, emeritierter Professor für evangelische Theologie und Religionspädagogik in Würzburg, wirft mit seinem neuen Sachbuch einen spannenden Blick auf die Lebensstationen Cadonaus. Rupp ordnet die gesammelten Texte von Fachpersonen und Cadonaus Schriften chronologisch. So beginnt das Buch mit der Kindheit und Jugend in Waltensburg und der Zeit an der Kantonsschule in Chur. Und es endet mit der Pensionierung und Cadonaus Tätigkeit im Gott-hilft-Haus in Seewis als geistlich-theologischer Leiter. Seine letzten Lebensjahre verbrachte Cadonau  gemeinsam mit seiner Frau in der Surselva in Waltensburg. Rupps gut gewählte Beiträge sind sehr informativ und breit recherchiert. Sie binden geschickt die Lebensgeschichte Cadonaus in die Weltgeschichte ein. Am Beispiel von Cadonaus Vita erfahren die Lesenden, wie sich die Geschehnisse in der grossen, weiten Welt auf die kleine Schweiz ausgewirkt haben: Cadonau erlebte zwei Weltkriege, deren Ende, die Folgen und schliesslich die Zeit danach.

Autobiografische Schätze

Was ebenfalls sehr bemerkenswert ist, sind die Zeitzeugenberichte, Fotografien, Dokumente und Auszüge aus Cadonaus autobiografischem Werk «40 Jahre im Dienste der Kirche». Dadurch erhalten die Lesenden nicht nur einen Einblick in die Persönlichkeit und Gedankenwelt Cadonaus. Sie spiegeln auch  die damaligen Zustände wider. Besonders beleuchtet, wird die Geschichte der reformierten Kirche im 20. Jahrhundert, vornehmlich unter dem Aspekt der romanischen Sprache. Dabei spielt es keine Rolle, ob man Vorwissen auf diesem Gebiet besitzt oder nicht. Es gelingt den Autoren, die Lesenden packend in dieses Kapitel der Geschichte einzuführen, auch wenn hie und da ein Begriff der Theologie unerklärt bleibt.
Trotz allem bleibt die Lektüre anspruchsvoll. Sie erfordert Zeit, um ihren Inhalt vollständig zu begreifen. Doch nimmt man sich diese Zeit, wird man mit einem spannen­den Einblick in das Leben eines sehr engagierten und prononcierten Man­nes belohnt.

Horst F. Rupp (Hrsg): Peter Paul Cadonau - 40 Jahre im Dienst der Kirche (1891–1972), TVZ, 2019, 344 S., Fr. 39.80.