Kindermund 26. April 2024, von Tim Krohn

Nicht nur Bub, nicht nur Mädchen. Mewe eben.

Kindermund

«Heute so, morgen so. Und übermorgen anders», sei sie, findet Bigna. Non-binär, nennt das der Lehrer. Aber sie sagt, sie sei «ein feines Mewe». Und wünscht ein neues Deutsch.

Seit Bigna ihre wirren Locken abgeschnitten hat, nennen sie die Kinder in der Schule Bigno. Das stört sie überhaupt nicht, denn sie sieht sich zwar nicht so eindeutig als Jungen, aber eben auch nicht nur als Mädchen. Oder wie sie selber sagt: «Heute so, morgen so. Und übermorgen nochmal anders.» Der Lehrer hat nun Fachwörter dafür gefunden: non-binär. Und genderfluid. Und er hat bei der Lia Rumantscha nachgefragt, wie das korrekte Pronomen für Bigna lautet, denn el oder ella, er oder sie, treffen es ja nicht. Die Lia Rumantscha ist so was wie der liebe Gott der romanischen Sprache. Oder jedenfalls der Papst. Aber dort hat man sich vor allem mit der allgemeinen Gleichstellung befasst und noch keine sprachliche Lösung für konkrete non-binäre Wesen.

Schliesslich suchte Bigna bei mir Rat. «Auf Englisch wärst du fein raus», sagte ich. «Wenn da jemand nicht festgelegt werden soll, wird einfach der Plural gebraucht. They are a fine person.» «Geht das nicht auch in anderen Sprachen?» Ich zuckte die Schulter. «Auf Deutsch hiesse das sie, aber das lesen die Leute dann wieder als weiblich. Manche benutzen deshalb dey, fast gleich wie im Englischen, nur dem der, die, das angeglichen. Da kommt Bigna, dey sieht heute fröhlich aus.»

Bigna kicherte. «Und wie sagst du: Ich schenke Bigna ein Buch?» «Ich schenke denen ein Buch. Wie das englische them. Es ist ihr Buch wird zu: Es ist deren Buch.» Bigna klatschte. «Das mag ich. Jetzt habe ich meine ganz eigene Sprache.» «Nein, im Grunde können wir über jeden Menschen genderneutral sprechen. Wir könnten der, die, das völlig abschaffen, das Geschlecht würde damit zur Privatsache.»

Bigna rümpfte die Nase. «Aber das Wort der Mensch ist immer noch männlich. Wie macht es da das Englische?» «Schlecht», musste ich zugeben, «Mensch heisst dort man, also Mann. Immerhin gibt es auch das human being, das menschliche Wesen. Das ginge auch auf Deutsch, es ist nur den meisten zu lang.» «Kürzen wir es eben ab», schlug Bigna vor. «Bigna ist ein feines Mewe, und da kommt dey ja gerade rechtzeitig, dass du denen ein Buch schenken kannst. Aber bitte eines in neuem Deutsch.» 

Tim Krohn

Der freie Schriftsteller wurde in Nordrhein-Westfalen geboren, wuchs ab seinem zweiten Lebensjahr in der Schweiz im Glarnerland auf und wohnte danach gut zwanzig Jahre lang in Zürich. Inzwischen lebt er mit Frau und Kindern in Santa Maria Val Müstair.

Für «reformiert.» schreibt Krohn seit Anfang 2017 die Kolumne «Kindermund», anfangs ein Jahr lang im Wechsel mit Richard Reich (Schöpfungen).

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