Vor drei Wochen hatte ich einen Herzinfarkt. Deshalb erlaube ich mir, Bigna in die Ferien zu schicken und von mir zu erzählen. Nach dem Infarkt, der sich mit einem brachialen Schmerz hinter dem Brustbein meldete, wurde ich mit der Rega nach Chur geflogen, zur Katheteruntersuchung. «Sehen Sie?» Der Arzt zeigte auf den Bildschirm. «Alle Gefässe schön offen, nirgends Verkalkungen. Trotzdem zeigen die Enzymwerte klar einen Infarkt.» Aber was hatte ihn ausgelöst? Unser Hausarzt meinte: «Entweder du kokst, oder du stehst unter Stress.» Ich lachte nur. «Wir koksen, trinken, rauchen nicht, und mein Leben ist so schön und reich, wie man es sich nur erträumen kann. Aus ihm schöpfe ich für meine Arbeit.»
Doch nachts erzählte meine Frau Micha von einem krebskranken Zenmeister. Er fragte den Krebs: «Was tust du bei mir?» Der Krebs antwortete: «Ich sorge dafür, dass du wieder mehr nach innen siehst.» Da erst fiel dem Meister auf, dass er nach seiner Erleuchtung kaum noch meditiert hatte, sondern um die Welt geflogen war, um die Erleuchtung weiterzugeben. Das hatte ihn glücklich gemacht, doch es war ein äusseres Glück. Das innere war ihm abhandengekommen. Nachdem er wieder zu meditieren begonnen hatte, wurde er gesund.
Ich brauchte meine Erkrankung nichts mehr zu fragen. Ich wusste, wie wenig Ruhe und Kontemplation ich mir gönnte, angetrieben durch die Notwendigkeit, in einem immer unerbittlicheren Literaturbetrieb mit meinem Schreiben sechs Mäuler zu stopfen, aber auch durch die Freude daran, dass es Menschen gibt, die meine Stimme hören möchten.
Ich zog sofort die Konsequenzen, sagte alles ab, kehre vielem womöglich auf immer den Rücken. Der Entschluss fiel ohne jedes Nachdenken, und sofort spürte ich, wie die Brust weit wurde. Ich geniesse meine Familie, die Natur und die spontane Zuwendung ganz vieler Menschen, deren Herzlichkeit überrascht und rührt. Die Brust schmerzt noch, die Nebenwirkungen der Medikamente werden mich länger begleiten. Trotzdem bin ich der Krankheit sehr dankbar und fühle ein Glück wie lange nicht mehr.