Als ich gestern an Bignas «Entsorgungsstelle für liegengebliebene, doppelte und ungeliebte Geschenke und Dinge aller Art» vorbeikam, stand die Tür offen, und das Kind sass konsterniert hinter dem Tisch, vor sich ein sehr dickes Buch. «Bist du fromm geworden?», fragte ich mit leisem Spott, aber Bigna mochte nicht einmal mehr grinsen. Sie schüttelte nur stumm den Kopf, während Tränen in die Augen traten. «Wenn schon, fange ich gerade an, an die dunklen Mächte zu glauben.»
Ich trat an den Tisch und zog das Buch zu mir, eine Gesamtausgabe von Harry Potter in einem Band, dreitausendvierhundert Seiten stark und diverse Kilo schwer. «Wer immer die Idee zu dazu hatte, ist ausgesprochen sadistisch veranlagt», stellte Bigna bitter fest. «Lina hat es mir gebracht, einer ihrer Urenkel hat es ihr geschenkt. Sie musste deswegen ins Krankenhaus, denn sie konnte es in keiner Haltung lesen, weder mit dem Buch auf dem Schoss noch auf dem Tisch und schon gar nicht in den Händen. Gleichzeitig konnte sie nicht aufhören zu lesen. Erst habe ich sie nur ausgelacht, aber dann habe ich selber angefangen zu lesen, und jetzt verstehe ich sie. Im Liegen geht überhaupt nicht, und inzwischen tun mir vom Sitzen der Hintern und der Nacken und der Rücken weh. Ich wette, dahinter steckt Voldemort.»
«Wer ist Voldemort?» Bigna warf mir nur einen verächtlichen Blick zu und fragte: «Glaubst du, man darf ein Buch zerschneiden?» Ich schluckte. Ich kenne Menschen, die jede gelesene Seite herausreissen, und leide daran sehr. Aber dies hier schien ein anderer Fall zu sein.
«Ich meine», fuhr Bigna fort, «ein Steak zerschneidet man schliesslich auch, sonst würde man daran ersticken. Andererseits, ein so schön gemachtes Buch ...» Wieder flossen ein paar Tränen, während Bigna den Band zu sich zog, den goldgeprägten Einband streichelte und mir verzweifelt lächelnd das purpurfarbene Leseband zeigte. «Ich glaube wohl, dass man hier zum Messer greifen darf», sagte ich. Doch Bigna unterbrach mich, taub vor Trauer: «Vielleicht ist es einfach nicht für Muggels gemacht. Aber wie grausam wäre das denn!»