Am Silvesterabend musste ich zu unserem Pächter Adrian. Er hatte mich gebeten, ihm ein Buch zu besorgen. Bigna kam mit. Es war schon dunkel. Im Stall brannten Neonröhren, Adrian war dabei, die Melkmaschine zu reinigen. «Dein Buch ist angekommen», sagte ich. Er wischte die Hände an der Hose ab und stand auf. «Ich habe hier draussen kein Geld.»
Ohne sich umzusehen, ob wir ihm folgten, ging er ins Haus und nahm aus einem Salznäpfchen zwei Geldscheine. Bigna las den Buchtitel: «Der totale Widerstand. Kleinkriegsanleitung für jedermann.» Dann kletterte sie auf einen Stuhl und sah sich um. «Hast du gar keinen Christbaum?» «Wozu auch?», brummte er. Ich sagte: «Ein Christbaum richtet jedenfalls weniger Schaden an als solche Bücher.»
Er starrte mich an, dann bellte er: «Fünf Kilometer von hier beginnt das Ausland. Und wir werden jetzt schon jeden Tag überrannt von Russen, Italienern, Deutschen. Das sind alles Stalinisten und Faschisten. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie die Armee aufbieten. Und wer rettet dann unser Land? Die in Zürich oder Bern? Die Bonzen und Klugscheisser? Die können ja keine Maus mehr töten, ohne in Tränen auszubrechen. Vergiften die Welt mit ihren SUVs, ihren auf 26 Grad geheizten Chalets und ihren Shoppingreisen, und uns wollen sie schon verbieten, Kühe zu halten. Ich sage Ihnen, die Welt ist aus dem Lot. Und retten werden wir sie, wir, die Hinterwäldler. Weil wir noch wissen, wie man anpackt.» Er hielt uns die Tür auf.
«Aber Silvester wirst du doch mit uns feiern?», sagte Bigna. Er starrte wieder, dann stapfte er in die Küche. «Wie viele Gänge?» «Drei, bitte», sagte Bigna kichernd. Wir sahen, wie er Instantsuppenpulver in Tassen löffelte und heisses Wasser vom Hahn dazugab. Dazu schnippelte er Käse in die Tassen. Bevor er auftrug, setzte er zwei Büchsen Ravioli aufs Gas. Zum Nachtisch gabs Schlagsahne von seinen Kühen mit ein paar Krümeln Kaffeepulver. Als ich sagte: «Die Tischbombe lassen wir besser aus», lachte er erstmals. Und als Bigna ihm zum Abschied einen Kuss auf die Stoppelwange drückte, traten ihm Tränen in die Augen.