Gestern beschloss Bigna, den Winter zu vertreiben. «Seit Anfang November liegt Schnee», sagte sie grimmig. «Wenn ich nichts unternehme, bleibt das so bis April. Das ist ein halbes Jahr, oder?» «Fast.» «Eben. Ein halbes Jahr Schnee, das hält kein Mensch aus.» «Aber jetzt fängt doch erst die Skisaison an.» Sie stutzte. Ski fahren tat sie gern, und sie brachte auch jedes Jahr eine Medaille heim. Dann beschloss sie: «Ich zaubere den Schnee nicht aus der Welt, nur von Santa Maria weg auf den Piz Minschuns.» «Du zauberst?» Sie nickte und legte gleich los.
Als Erstes schlug sie ein zerfleddertes Büchlein auf, das früher der «tatta» gehört hatte, ihrer Urgrossmutter: «Albertus Magnus sympathetische Geheimnisse für Menschen und Vieh». Mit beschwörender Stimme las sie: «Maria in der Kindbett lag, drei Engel Gottes taten ihr pflegen, Sankt Michael, Sankt Gabriel und Sankt Petrus.» Dann las sie stumm weiter und stöhnte. «Jetzt müsste ich erst alle Sterne, alle Schneeflocken, Regentropfen, Tropfen im Meer und Sandkörner zählen. Das ist ein blöder Zauber!» Sie schlug das Buch zu und pfefferte es in die Ecke. Dafür kramte sie einen Munitionsring für ihre Knallpistole aus einer Schublade und schlug mit dem Hammer darauf ein, bis die Funken spritzten. Dazu rief sie: «Schnee, verzieh dich, Wolken, verzieht euch, Sonne, komm her und geh nie wieder weg.» Viel geschah nicht, immerhin stank es nach Schwefel.
«Der Himmel ist ja blau, die Sonne ist da, sie steht nur zu tief», sagte ich. «Das Problem sind keine Wolken, sondern der Piz Mezdi.» Bigna sah mich wütend an und musterte den Piz Mezdi mit dem weissen Lichtkranz eine Weile, während sie schon mal probeweise den Hammer schwang. Doch schliesslich schüttelte sie den Kopf. «Weisst du was? Wir machen es ganz anders. Du fährst mich jetzt auf den Piz Minschuns, wir fahren Ski, danach essen wir auf der Sonnenterrasse Schnipo.» «Jeden Tag bis April?» «Nein, bei schlechtem Wetter zaubere ich wieder ein bisschen. Aber du hast recht, im Winter haben wir fast immer blauen Himmel. Zudem ist der Frühling nach so einem langen Winter am allerallerschönsten.»