Recherche 10. Januar 2023, von Sandra Hohendahl-Tesch

Erfolgreiches Programm für Chancengleichheit in Geldnot

Bildung

Mit dem Chagall-Programm verhilft das Gymnasium Unterstrass seit 15 Jahren Jugendlichen mit Migrationshintergrund zur Matur. Nun droht das Aus, weil die Finanzierung ausläuft.

Nala hat es geschafft. Sie studiert Medizin an der Universität Zürich. Ihre Startbedingungen waren für eine erfolgreiche Karriere alles andere als einfach. Die Hausaufgaben erledigte das Flüchtlingsmädchen aus Somalia jeweils am Morgen um halb fünf. Es war die einzige Zeit, die ihr als ältester Tochter mit fünf Geschwistern, um die sie sich kümmern musste, zur Verfügung stand. Der Sprung ans Gymnasium gelang Nala, die hier Beispielcharakter hat, dank Chagall, dem nun wegen Geldmangels das Aus droht. «Die Fortsetzung des Programms ist akut gefährdet», sagt Eva Ebel, Direktorin des Gymnasiums Unterstrass, im Gespräch mit «reformiert.». Denn die Beiträge, die der Kanton seit 2018 leistet, laufen aus. Bisher bekam Unterstrass für Chagall Beiträge aus dem gemeinnützigen Fonds Bildung, der Projekte und Kulturangebote in der Bildung und der Kinder- und Jugendhilfe unterstützt. Er wird zu einem Drittel mit Geldern des Lotteriefonds geäufnet. Per Ende dieses Jahres wird der von der Bildungsdirektion verwaltete Fonds eingestellt. Das hat der Kantonsrat entschieden.

Andere Schulen zogen nach

«Damit sind wir wie zu Beginn auf Stiftungsgelder angewiesen», sagt Ebel. Zwar waren die staatlichen Mittel aus dem Fonds von Anfang an zeitlich begrenzt. Eva Ebel hoffte aber, dass die Politik reagieren und die Chancengleichheit gesetzlich verankern würde, um die Finanzierung von Chagall langfristig zu sichern. «Es kann nicht sein, dass wir immer wieder neu um Mittel bitten müssen für etwas, das doch selbstverständlich sein sollte: gleich lange Spiesse in der Bildung für alle.» Chagall ist zudem sehr erfolgreich: Rund 70 Prozent der Teilnehmer und Teilnehmerinnen bestehen die Aufnahmeprüfung an eine Mittelschule. Ohne intensives Training, insbesondere in Deutsch, wäre das nicht möglich. Sie büffeln während Monaten jeden Mittwochnachmittag und Samstagvormittag.

Wenig verwunderlich, dass das Programm Schule macht: Die Kantonsschulen Zürich Wiedikon, Büel-rain in Winterthur und Zürcher Unterland in Bülach haben ähnliche Angebote initiiert, deren Finanzierung laut Ebel ebenfalls langfristig in Gefahr ist. Die Kurse lehnen sich inhaltlich an Chagall an, fördern aber generell sozial benachteiligte Jugendliche – mit und ohne Migrationshintergrund. Denn Fakt ist: An der Goldküste gehen viermal mehr Kinder ans Gymnasium als in der Zürcher Agglomeration. Eine 2018 eingereichte Motion, die der Kantonsrat zum Postulat abschwächte, verlangte vom Regierungsrat Massnahmen, damit sich die Schere schliesst. Konkret forderte «Chancengerechtigkeit durch Arbeit an der Lernlaufbahn – Chagall for all» gesetzliche Grundlagen für eine langfristige Unterstützung. Der Regierungsrat winkt ab

Der Regierungsrat winkt ab

Der Regierungsrat sieht keinen Bedarf und beantragt, das Postulat abzuschreiben. Auf Anfrage schreibt die Bildungsdirektion, dass auf allen Stufen bereits viele Projekte zur Gewährleistung der Chancengleichheit entwickelt und umgesetzt würden. Sie rät, bei anderen Fonds Gesuche zur Finanzierung von Chagall einzureichen. Was jedoch «kompliziert und ohne sichere Aussicht auf Erfolg» sei, sagt Ebel. Der Kantonsrat diskutiert die Antwort des Regierungsrats demnächst. Ebel hofft auf politische Unterstützung und doch noch auf eine Wende. Chancengleichheit sei im Interesse der ganzen Gesellschaft: Indem Schülerinnen wie Nala gefördert würden, unternehme die Schweiz etwas gegen den akuten Fachkräftemangel. «Das Potenzial ist vorhanden.»