Das Leitbild der Bäckerei Merz klingt eher wie ein politisches Programm. Da steht zum Beispiel: «Wir tragen Verantwortung für unsere Umwelt und nehmen im Bereich der Food-Waste-Bewegung eine nationale Vorreiterrolle ein.»
Ja, aber der erste Teil vom Satz könnte in 99.9 Prozent aller Leitbilder von Unternehmen stehen. Was bei uns dahintersteckt, ist folgender Gedanke: Wir stecken viel Energie in die Beschaffung von hochwertigen Rohstoffen, wir verarbeiten sie mit Herzblut – und dann am Abend werfen wir vieles davon wieder weg. Was wir in Europa am Abend wegwerfen, würde genügen, um die Welt zweimal zu ernähren, so stand es 2008 in der «Neuen Zürcher Zeitung». Das hat mich nachdenklich gemacht. Grenzt das nicht fast an Perversion? Ein paar hundert Kilometer südlich verhungern Menschen, und wir werfen perfekt geniessbare Lebensmittel in den Kübel. Ich habe gedacht: Das Welthungerproblem kann ich nicht lösen, aber im Kleinen will ich etwas verändern.
Was haben Sie verändert?
Wir haben uns der Organisation «United against woodwaste» (Gemeinsam gegen Essensverschwendung) angeschlossen. Damit erhielten wir Unterstützung bei der Datenanalyse: Wie viel und was werfen wir eigentlich weg? Wir lernten zu unterscheiden: Da sind schnell verderbliche Produkte, etwa Sandwich, Canapèes, Pâtisserie und nicht schnell Verderbliches wie Brötli, Gipfeli, Brot. Unser Ziel wäre es, hundert Prozent dieser Produkte im Ernährungskreislauf vom Menschen zu behalten.
Schaffen Sie das?
Bei den nicht schnell verderblichen Lebensmitteln liegen wir heute bei achtzig Prozent. Am Abend wird aus unseren Filialen alles zentral in den Rossboden in Chur zurückgebracht. Wir verkaufen es dann in einer Filiale als «Merz vom Vortag», die Caritas holt Brot für ihre internen Essensangebote und einen Teil verarbeiten wir zu Paniermehl oder Rohstoffen. Die verbleibenden zwanzig Prozent gehen in die Stiftung Plankis als Tiernahrung.
Und wie sieht es aus mit schnell verderblichen Lebensmitteln?
Das haben wir noch nicht optimal gelöst. Wir sammeln alles in Tanks und daraus wird Biogas produziert. Von mir aus ist das die beste von ganz vielen schlechten Möglichkeiten.
Rechnet sich Ihr Engagement?
Ökonomisch wäre am unkompliziertesten, wenn man am Abend die Tonne öffnet und alles in den Haushaltskehricht wirft. Wir haben viel Aufwand, weil wir die Produkte sortieren, aus den Filialen wieder auf den Rossboden transportieren, erneut sortieren und versenden. Wahrscheinlich hält so ein Aufwand viele Unternehmen von der Weiterverwertung ab.
Ökonomisch also ein Verlustgeschäft. Warum machen Sie es trotzdem?
Ich möchte hinter unserer Arbeit einen Sinn sehen. Natürlich gehen auch bei uns immer wieder mal Sachen schief, aber insgesamt möchte ich, dass unser Unternehmen eine runde Sache ist. Essensverschwendung würde mich stören. Aber wir stossen dabei auf ein Problem, nämlich: Versteht uns der Konsument? Der ist nämlich irritiert, wenn er um fünf vor sieben einen Grossverteiler betritt, und die Gestelle sind voller Brot, oder einen Merz, und dort hat es vielleicht nur noch drei Brotsorten. Es braucht also in der Öffentlichkeit ein Umdenken: Totaler Überfluss hat Schattenseiten.
Dann liegt die Verantwortung beim Kunden?
Nicht nur. Der Schlüssel gegen Essensverschwendung ist auch unsere Planung: Welches Produkt brauche ich heute wie häufig? Meine beginnenden grauen Haare kommen von solchen Überlegungen, denn die Planung der Produktion ist extrem schwierig geworden. Aber es gibt Kunden, die sich dann beschweren, wenn sie die Auswahl am Nachmittag zu klein finden. Es geht also auch stark darum, dass Konsumenten unser Verhalten verstehen und gut finden.
Wie reagieren Sie dann auf solche Beschwerden?
Ich versuche zu erklären. Wir beantworten alle Beschwerden, dafür schätze ich auch die Möglichkeiten der neuen Medien.
Warum tun Sie sich das alles an? Warum handeln Sie nicht nur unternehmerisch, sondern auch ethisch?
Ist das ein Widerspruch? Ich bin bereits in jungen Jahren viel gereist und konnte viel sehen von der Welt. Ich kenne also eine globale Perspektive. Zweitens haben wir Bündner einen starken Bezug zur Natur, weil wir in einem naturnahen Kontext leben. Wenn man das Problem von globalem Foodwaste mit gesundem Menschenverstand anschaut, dann muss man ganz einfach etwas tun dagegen.