Recherche 30. Januar 2023, von Constanze Broelemann

«Ich dachte, es sei etwas falsch an mir»

Gesellschaft

Der Treff für Menschen aus der LGTB+ Community in Chur ist offen für alle. Freya Mayer arbeitet dort, weil sie selbst Teil der Community ist und helfen will, Vorurteile abzubauen.

Freya Mayer nimmt sier Glas und trinkt einen Schluck Wasser, ehe sier zu reden beginnt. «‹Sier› ist eine Kombination aus ‹sie› und ‹er› und schliesst die grössere Vielfalt an Geschlechtsidentitäten mit ein», sagt Freya. Freya ist 21 Jahre alt, kommt aus Ilanz und bezeichnet sich als non-binär, was auch das Pronomen «sier» zum Ausdruck bringt. Längst nicht immer war es so, dass Freya einen Begriff, eine Erklärung für das hatte, was sier fühlte.

«Lange habe ich gedacht, es sei etwas falsch an mir.» Bereits mit drei Jahren sagte Freya: «Ich bin ein Bub.» Im Kindergarten wurde sier dann entgegnet: «Du bist ein Mädchen.» So sei das jahrelang gegangen, bis Freya mit 16 Jahren an einer Veranstaltung der Jusos in ihrem Ort teilnahm. Dort waren nichtbinäre Pronomen das Thema. «Für mich war es das erste Mal, dass ich Begriffe für etwas hörte, was ich seit Jahren fühl­te», sagt Freya.

Nicht einfach, sich zu outen

Frau» oder «Mann» das sind in der Schweiz die offiziellen Geschlechtsangaben. Es gibt jedoch Menschen, die sich nicht als nur weiblich oder männlich definieren. Das heisst dann nichtbinär, non-binary oder auch genderqueer. Geschlechtsidentität, Geschlechtsausdruck und das biologische Geschlecht können variieren. Bei Freya ist das so. Sier fühlt sich weder ausschliesslich weiblich noch männlich. Freyas Partner hat kein Problem damit, dass Freya non-binär ist. Freya wählte sier Partnerschaften sowieso schon immer nach der Person und nicht nach dem biologischen Geschlecht.
Heute sei es weniger gefährlich, sich als queer zu outen, meint Freya. Jedoch längst nicht einfach. Das bestätigt auch Patrizia Sutter vom Pro­gramm «du-bist-du» der Fachstelle Sexuelle Gesundheit Zürich (SeGZ). Mit ihren Mitarbeitenden fördert sie durch Peer-Beratung, Wissensvermittlung und Workshops für Fachpersonen, die mit jungen Menschen arbeiten, die psychische und physische Gesundheit von jungen LGBT+-Menschen sowie von jungen Menschen, die sich ihrer sexuellen oder romantischen Orientierung oder Ge­schlechtsidentität nicht sicher sind. «Die inklusive Sprache ist dabei ein Symbol, dass die Gesellschaft für gen­derqueere Menschen am Tisch Platz macht», sagt Sutter.

Freya Mayer arbeitet seit Sommer letzten Jahres im Treff. LGBT+, dem queeren Jugendzentrum in der Churer Altstadt. «Ich begleite junge Menschen beim Erwachsenwerden und auch in Krisen», sagt Freya. Als gelernte Fachperson Betreuung ist sier die Ansprechperson für queere Men­schen bis 27 Jahre. «Für einige ist unser Treff inzwischen auch ihr Wohn­zimmer.»  

Freya Mayer selbst ist froh um den Treff, der explizit offen für alle und an den Samstagabenden sehr gut besucht ist. Doch trotz mehr Offenheit in der Gesellschaft queeren Menschen gegenüber machen Freya Diskriminierungen Sorgen. «Viele Jugendliche, die sich outen, machen noch heute Gewalterfahrungen.» Einen Nach­holbedarf sieht Freya in der Aufklärung im Schulunterricht. Dort werden die Jugendlichen meist heteronormativ behandelt. «Bei der Sexualität hat man vielleicht einen Konsens darüber, wie es funktioniert, aber nicht darüber, was Identitäten betrifft.»

Der Diskriminierung begegnen

Der Videoclip «The Light» der französischen Schauspielerin und Sängerin Hollysiz nimmt das Thema Ge­schlechtsidentität auf. Er zeigt die Irritationen der Umwelt, wenn ein Junge beispielsweise gern Kleider an­zieht. Geschlechtsidentität ist das, was wir von uns annehmen, dass wir es sind. Der Ausdruck hingegen das, wie wir von aussen eingeordnet werden. Stimmt das, was wir von uns selbst annehmen, und das, was andere von uns annehmen, überein, nennt man das «cis», ist das nicht der Fall, nennt man es «trans».

Laut der Sexualpädagogin Patrizia Sut­­ter lebt die Transgender-Arbeit stark vom Engagement Frei­williger und von Kirchgemein­den.
Doch es werde seitens des Staates nicht genug Geld ge­sprochen, um der strukturellen Dis­kriminierung zu begegnen, sagt Sut­ter.

«Wie es früher sehr viel Energie brauchte für die Frauenbewegung, braucht es sie heute für die LGBT+-Bewegung», erzählt Sutter. Dann antworten Eltern auf die Frage ihres Kindes, ob die Person ein Mann oder eine Frau sei, vielleicht nicht mehr: «Das ist ein Spinner.» So erlebte es eine Chu­rerin, die sich vor vielen Jahren als trans­ident outete.
https://www.sozialwerk.lgbt/