Recherche 11. Januar 2023, von Cornelia Krause

Goldene Ikonen und eine Salbung mit Öl

Ökumene

Für viele Besucher war es das zweite Weihnachtsfest. Im Januar feierten in der Kirche Winterthur-Veltheim Schweizer und Geflüchtete aus der Ukraine gemeinsam die Geburt von Jesus.

Es dämmert schon an diesem ersten Samstag im Januar, die Dorfkirche im Winterthurer Stadtteil Veltheim füllt sich eine halbe Stunde vor Beginn des Gottesdienstes. Auch sonst ist einiges anders: In der reformierten Kirche steht ein Altar, darauf prangt ein siebenarmiger Leuchter mit Kerzen, umrahmt von zwei Ikonen. Neben dem Weihnachtsbaum, geschmückt mit roten Kugeln und Strohsternen, steht ein grosses, goldenes Bild. Diese Weihnachtsikone stellt Geburt und Tod Christi da.

Drei Pfarrpersonen begrüssen die Gemeinde. Neben der reformierten Pfarrerin Esther Cartwright empfängt der römisch-katholische Gemeindeleiter Marcus Scholten die Menschen. Pfarrer Ivan Machuzhak von der ukrainischen griechisch-katholischen Kirche ist ins goldene Messgewand gekleidet. Zur Weihnachtsfeier sind Angehörige aller Konfessionen eingeladen. Bis auf den letzten Platz sind die Bänke besetzt, dahinter drängen sich Menschen stehend. Rund 300 Besucher sind gekommen, Ukrainerinnen sitzen neben Gastfamilien und Schweizer Freunden, auch ältere Gemeindemitglieder sind da.

Gott weiss, was es heisst, ausgeliefert zu sein.
Esther Cartwright, Pfarrerin

Mit der Botschaft «Christus ist geboren» beginnt Cartwright auf Ukrainisch den Gottesdienst, die Ukrainer antworten sogleich in ihrer Sprache «Lasst ihn uns preisen».Anders als im reformierten Gottesdienst bleibt die Orgel still. Die Liturgie wird getragen vom Gesang Machuzhaks und des Vocal-ensembles Anima Ruthenica unter der Leitung von Sviatoslava Luchenko. Ein schweizerisch-ukrainischer Chor unterstützt die Musiker. Es sind die beeindruckenden Gesänge, die den Gottesdienst zusammenhalten, melancholisch und immer wieder hoffnungsvoll, ein mehrstimmiger roter Faden.

Einen reformierten Akzent setzt Cartwright mit einer kurzen Predigt zur Weihnachtsgeschichte des Matthäusevangeliums. Die Pfarrerin erinnert daran, wie Gott als verletzliches Wesen in eine unfriedliche Welt gekommen sei. «Gott weiss, was es heisst, ausgeliefert zu sein, im Dunkeln zu sein.» Tröstlich sei die Bedeutung der im Matthäusevangelium genannten Namen für den Sohn Gottes: «Immanuel: Gott ist mit uns. Jesus: Gott befreit und hilft.» Die Pfarrpersonen laden ein, nach vorn zu kommen und Kerzen anzuzünden. In langen Schlan-gen stehen die Besucher an, viele bekreuzigen sich, bevor sie die dünnen Kerzen in drei grosse Sandwannen stecken. Ein Lichtermeer aus mehreren Hundert Kerzen erhellt die Gesichter der Menschen und den vorderen Kirchenraum. Einige Besucher werden von Gefühlen übermannt, eine junge Ukrainerin wischt sich Tränen aus den Augen. Machuzhak schwenkt das Weihrauchfass.

«Stille Nacht» verbindet

Beim gemeinsamen Unservater, das auf Ukrainisch und Deutsch gebetet wird, ist die Verbundenheit über die Konfessionen hinweg spür-bar. Beinahe zwei Stunden dauert der Gottesdienst. Er endet mit dem Schluss-segen, bei dem die Gläubigen erneut nach vorn kommen. Ivan Machuzhak berührt ihre Stirn mit einem goldenen Kreuz, viele Ukrainerinnen und Ukrainer küssen eine mit Ikonenmalerei verzierte Bibel, die Marcus Scholten hält. Cartwright übernimmt die Salbung: ein Kreuz auf die Stirn der Besucherinnen und Besucher. Danach werden die Menschen eingeladen, aus einem Korb ein Brötchen mitzunehmen. Das Brot soll beim ukrainischen Weihnachtsessen gemeinsam gebrochen und in Honig getunkt werden. Die Gemeinde singt noch «Stille Nacht», die Strophen abwechselnd auf Ukrainisch und Deutsch, bevor sie in den Abend geht und das von 30 Freiwilligen gekochte Essen geniesst. «Es war sehr schön», sagt eine ältere Ukrainerin. «Hierfür.» Sie zeigt auf ihr Herz.

Julianischer Kalender

Die Initiative für den Gottesdienst 
mit Festessen geht auf Pfarrerin Esther Cartwright zurück, die mit Ivan 
Machuzhak bereits einen Ostergottesdienst organisierte. Die Pfarrperso
nen bemühen sich um eine neue Form aus ostkirchlicher Liturgie und Elementen der reformierten und römisch-katholischen Kirche. In der Ukraine 
ist die Mehrheit orthodox. Das Kirchenjahr richtet sich nach dem julia--
nischen Kalender, Weihnachten wird am 6. und 7. Januar gefeiert. Rund sechs Prozent der Menschen bekennen sich zur griechisch-katholi-
schen Kirche. Sie gehört zur römisch-katholischen Kirche, folgt jedoch 
dem byzantinischen Ritus.