Recherche 01. November 2019, von Rita Gianelli

Gottesbegriff gilt nicht nur für Christen

Verfassung

Soll das Wort Gott in der Präambel von Verfassungen stehen dürfen? Darüber wird regelmässig diskutiert. Aktuell in Davos.

«Eine angenehme Überraschung», nennt der Davoser Landamman Tarzisius Caviezel die Diskussionen rund um die neu revidierte Gemeindeverfassung. Normalerweise werde solche Arbeit kaum gewürdigt. Der Grund ist das Fehlen des Gottesbegriffs in der Präambel, das vor allem aus kirchlichen Kreisen bemängelt wurde. Christian Thomann, Mitglied der Evangelischen Volkspartei (EVP) und des Grossen Landrates in Davos, stellte den Antrag den Namen Gottes zu integrieren und löste damit die öffentliche Debatte aus. «Wir gehören zum christlichen Abendland und sollten uns klar zu unseren Wurzeln bekennen.» Seiner Meinung verwässern christliche Traditionen in der Gesellschaft zusehends. Die Diskussion um ein Verbot von Weihnachtsliedern an den Schulen sei bereits in einigen Ortschaften Realität. Im Nachbarland Frankreich seien Weihnachtskrippen in öffentlichen Gebäuden zum Teil nicht mehr gestattet. Thomann ist überzeugt: «Ein Bekenntnis zu unseren christlichen Wurzeln, ist auch ein Schutz und Segen für unser Land.» Vereinnahmend sei dies für andere Religionen keineswegs. «Dank unseren christlichen Werten funktioniert ja ge­rade das Zusammenleben der verschiedenen Religionsgemeinschaften», so Thomann. Auch die reformierte Kirchgemeindepräsidentin in Davos Platz, Marianne Aguilera, bedauert das Fehlen des Gottesbezugs und sieht darin einen weiteren Schritt in Richtung Säkularisierung.

Frage nach Wahrheit

Der ehemalige Dekan Luzi Battaglia hat während seiner Amtszeit als Pfarrer der Bündner Kirche zwei Verfassungsrevisionen miterlebt.
Dass Gemeindemitglieder sich einen Gottesbezug im Vorwort ihrer Verfassung wünschen, kann er verstehen. Ein solcher sei denn auch unproblematisch für andere Religionsgemeinschaften. Der moderne Staat müsse um des Friedens und der Freiheit willen die Frage nach der religiösen Wahrheit offen lassen. Der Staat nimmt nicht Partei für eine Religion oder eine Weltanschauung. «Das täte er, wenn er der These vom Staat ohne Gott und damit einem Säkularismus folgte, also für eine Weltanschauung Partei nähme, die für eine stetig fortschreitende Entkirchlichung kämpft.» Neutralität, so Battaglia, heisse nicht, dass Gott aus dem Staat vertrieben werden müsste.

Gute Grundlage

«Der Gottesbezug richtet sich auch nicht nur an Christen. Die Anrufung Gottes weist auf die Begrenztheit staatlicher Gewalt hin», sagt Luzi Battaglia.
Sie wiederspreche dem Absolutheitsanspruch totalitärer Staatsmodelle, mache die Endlichkeit, Zeitlichkeit und Fehlerhaftigkeit des Menschen bewusst. «Wenn Gott so in einer Verfassung zum Spiel gebracht werde,  ist das eine gute Grund­lage für alle.»