Recherche 29. März 2016, von Nicola Mohler

Heim ins unsichtbare Dorf

Christen

Das Dorf Iqrit besteht nur noch aus einer Kirche und einem Friedhof. Die ehemaligen Dorfbewohner pilgern regelmässig dorthin und wollen ganz zurückkehren.

Das Dorf Iqrit besteht heute nur noch aus einer Kirche und einem Friedhof. Einst lebten dort, im Norden Galiläs, rund 500 griechisch-katholische Christen. Sie mussten 1948 das Dorf verlassen, als die israelische Armee an die libanesische Grenze vorrückte. Längst wohnen die exilierten Gemeindemitglieder verstreut übers Land in verschiedenen israelischen Städten und Dörfern. Regelmässig pilgern sie aber in ihre alte Heimat, um in der Kirche von Iqrit Gottesdienste zu feiern und das Gemeinschaftsleben zu pflegen.

Vom ehemals belebten Dorf sind einzig das Gotteshaus und der Friedhof übrig geblieben, nachdem die israelische Armee 1951 die Wohnhäuser zerstörte und zwei Jahre später das Land konfiszierte. Trotz mehreren Entscheiden des Obersten Gerichtes, die den Bewohnern von Iqrit das Recht auf Heimkehr zusprachen, dürfen sie nur tagsüber in den Ruinen ihres einstigen Dorfes verweilen. Die dauerhafte Rückkehr ist seit 1971 nur im Sarg möglich; wer stirbt, darf auf dem Friedhof beigesetzt werden.

Dieser Praxis stellt sich eine Gruppe junger Menschen entgegen. Zu ihnen gehört der 22-jährige Philosophiestudent Amir, dessen Grossvater mit 19 das Dorf verlassen musste. 2012 beschlossen sie, nach Iqrit zurückzukehren. Sie übernachten regelmässig in einem improvisierten Anbau der Kirche, organisieren Feste und Aktivitäten und pflanzen Bäume und Stauden. Sie liefern sich mit den Behörden «ein Katz-und-Maus-Spiel», sagt Amir. «Konfisziert die Behörde Jungpflanzen, setzen wir gleich wieder neue.» Die Erinnerungen an die einstige Heimat will er am Leben erhalten. Wie sein Grossvater hält auch Amir an der Hoffnung fest, wieder nach Iqrit heimzukehren.

Drehbeginn Ostern. Von der Geschichte dieses Dorfes erzählt der Film «Die Rückkehrer» von Christian Walther. 2011 wurde er auf die verlassenen Dörfer in Israel aufmerksam – von denen es rund 400 gibt. Die meisten sind auf der Landkarte unauffindbar. Auch von Auge sind sie teilweise nur schwer erkennbar: Die einen sind von einem Kibbuz überbaut, die anderen sind komplett zerstört, oder über den Ruinen wurde ein Naturpark errichtet. Wieso handelt der Film gerade von Iqrit? «Iqrit ist eines der wenigen Dörfer, auf deren Boden nichts gebaut wurde. Man sieht also noch, dass hier mal ein Dorf war. Und die Kirche auf dem Hügel ist natürlich ein schönes Bild», sagt Christian Walther. «Zudem erleichterte die Tatsache, dass Iqrit eine christliche Gemeinde ist, das Fundraising für den Film. Bei einem Film über ein verlassenes muslimisches Dorf wäre das schwierig geworden.»

An Ostern 2015 begann er mit den Filmaufnahmen. Dahinter standen zwei Überlegungen: «Im Frühling erwacht die Natur zu neuem Leben. Die Farben der Landschaft sind kräftig im Gegensatz zur kargen Weihnachtszeit. Zudem symbolisiert die Osterfeier die Hoffnung der Gemeinde», sagt Christian Walther. Es ist dann auch genau diese Hoffnung, die der Pater Souhail Khoury im Film während der Osterfeier vor rund 200 versammelten Gemeindemitgliedern beschwört: «Der Glaube an die Auferstehung stärkt uns im Glauben an unsere Rückkehr nach Iqrit.» Der Pater hält hier jeden ersten Samstag im Monat einen Gottesdienst – Sonntag ist in Israel ein offizieller Arbeitstag.

Zusammenführen. Neben den Dorfbewohnern kommt im Film auch der Sprecher des israelischen Aussenministeriums zu Wort. Mit seinem Film wolle er einen kleinen Teil des Nahostkonfliktes beleuchten, sagt Walther. «Ich will die Geschichte einer Gruppe Menschen erzählen, die bereits vor der Staatsgründung Israels im Land lebten. Sie hatten mit den Ereignissen in Europa nichts zu tun und mussten trotzdem die Konsequenzen tragen – sowie Hunderttausende anderer Palästinenser.» Für ihn war nicht nur das Filmthema wichtig, sondern auch, wer am Projekt mitarbeitet. Bewusst hat er sich für eine jüdisch-israelische Kamerafrau und einen muslimisch-palästinensischen Tontechniker entschieden. «Seit ein paar Jahren werden die Begegnungen zwischen Israeli und Palästinensern immer seltener. Die Separation ist spürbar. Die beiden Völker kennen sich kaum noch.» So sei denn während den Drehpausen und abends im Hotel auch rege über das Leben aller Beteiligten diskutiert worden.

Christian Walther, 43

Der Berner arbeitet als Redaktor bei SRF sowie als freier Journalist und Filmemacher. Christian Walther bereiste Israel und das Westjordanland über 25 Mal. Den Nahostkonflikt kennt er aus beiden Perspektiven.

«Die Rückkehrer»

Der Film wurde von der solothurnischen Filmproduktionsfirma Insertfilm produziert. Regie und Buch führte Christian Walther.

Zu sehen ist der Film «Die Rückkehrer» an Auffahrt, 5. Mai, 10.00 Uhr, SRF 1, Sternstunde Religion