Recherche 03. Februar 2022, von Mayk Wendt

Junge Zukunft für alte Handwerkskunst

Handwerkstradition

Die Handweberei in Santa Maria ist reine Frauensache. An Nachwuchs mangelt es der Tessanda nicht. Doch wegen Corona stockt der Verkauf.

Das Klappern der Webstühle ist in den schmalen Gassen von Santa Maria im Winter bei geschlossenen Fenstern kaum zu hören. Zu dick sind die Mauern des alten Bauernhauses in der Val Müstair. Dafür ist der Lärm beim Betreten des Geschäftes umso eindrücklicher.

Arbeit mit Hand und Fuss
In der Handweberei Tessanda (romanisch für Weberei) werden heute, wie vor mehr als neunzig Jahren, in traditioneller Handarbeit hochwertige Textilien hergestellt. «Durch die Handarbeit unterscheidet sich jedes Produkt von Massenware», sagt die 21-jährige Elena Müggler. Sie ist im zweiten Ausbildungsjahr zur Gewebegestalterin.
Ihre Augen strahlen, während sie vom Entstehungsprozess der Tü­cher und Teppiche spricht. «Jedes Produkt ist einzigartig. Es entstehen richtige Kostbarkeiten.» Diese Sätze aus dem Mund einer modernen, jungen Frau zu hören, lassen keinen Zweifel an der Zukunft des Handwerks. Geschäftsleiterin Maya Repele bestätigt, dass das Handwerk Zukunft hat. Fügt aber hinzu, dass der Beruf der Weberin zu jenen Kleinstberufen zählt, die der Bund für die Gestaltung und Durchführung bis zur Fachausbildung unterstützt. «Die Gewerbeschule im Tal wird zudem vom Kanton unterstützt», so Repele. Es ist die kleinste Gewerbeschule in der Schweiz. Jedes Jahr werden schweizweit maximal nur drei Gewebegestalterinnen ausgebildet. Mit zwei Lernenden und einer Praktikantin mangelt es in der Tessanda also nicht an Nachwuchs. Ausbildungsverantwortliche Alexandra Salvett betreut die Lernenden. Die heute 47-Jährige hat vor mehr als dreissig Jahren selbst die Ausbildung gemacht und arbeitet nach wie vor im Betrieb. Sie schätzt vor allem die familiäre Stimmung. Und die ist beim Besuch in der Tessanda spürbar. Stress und Hektik des Alltags werden von den rhythmischen Geräuschen der Webstühle durchbrochen und wie von Geisterhand verjagt. «Gerade in unserer digitalen Gesellschaft gewinnt die Arbeit mit Händen und Füssen an Bedeutung», erklärt Alexandra Salvett. Dadurch übe man sich permanent in Ausdauer, Geduld, Präzision.

Für reformierte Töchter
Gegründet wurde die Weberei für die reformierten Töchter im Tal. Die Grosszahl der Frauen waren Bäuerinnen und Mägde. Ein eigenes Einkommen in der abgelegenen Region war selten. Mit der Gründung der Weberei durch die Ramoscher Weblehrerin Floriana Andry, die Handarbeitslehrerin Fida Lori und den Dorfpfarrer Rudolf Filli wurde den Münstertalerinnen eine achtbare Arbeitsstelle geboten.
Für Fida Lori, die erste Leiterin, hatte das Handweben immer auch einen tieferen Sinn und einen pädagogischen Auftrag. «Das Handwerk lehrt uns genau zu sein, immer wieder vorne anzufangen», wird Lori in den Broschüren zitiert. Sie war überzeugt, dass die Tätigkeit nicht nur ein Einkommen bringen, sondern auch «innere Werte vermitteln soll». Diese Werte, zu denen «Sorgfalt und Feingefühl» zählen, sagt Repele, zeigten sich in der Qualität der Produkte. «Qualität und Perfektion. Wir können einfach nicht anders», sagt sie mit einem Schmunzeln, meint es aber ernst damit.
Das Wissen bewahren
«Ungeahnte Möglichkeiten liegen in den paar Hölzern eines Webstuhls. So viele, dass wir immer Lernende bleiben.» Auch dieser Satz stammt von Fida Lori. Es ist ein rares Handwerk basierend auf altem Wissen. Dieser historische Hintergrund war für Elena Müggler auch ein Grund, den Beruf zu wählen. «Die Verbindung von Tradition und Moderne interessiert mich sehr», sagt sie. Mit ihrer Arbeit will sie zum Erhalt des Handwerks aktiv beitragen. «Damit können wir auch das uralte Wissen erhalten», meint Repele zuversichtlich. Am Ende werde es aber auf die Nutzung und Verwendung der hochqualitativen Textilien ankommen. Die Krise rund um Corona hat auch die Auftragslage bei Firmenanfragen beeinträchtigt. Dabei braucht es doch vor allem in diesen Zeiten «Schönes, geschaffen aus Geist und Hand», wie Fida Lori schon sagte.