Würde man erwarten, dass einem beim Besuch des Musée International de la Réforme (MIR) in Genf als Erstes Teppiche auffallen? Bereits in der Eingangshalle tritt man auf den ersten von mehreren grossen Teppichen. Auf diesem zu sehen ist die Titelseite eines Buches aus der Sammlung des Museums: Auszüge aus Kommentaren Calvins zum Römerbrief, 1543 gedruckt in Genf. Sofort ist man im Thema des Museums – und auch im Gebäude, in dem es sich befindet.
Mit dem Tablet auf den Spuren der Reformation
Das Reformationsmuseum in Genf hat seine neu gestaltete Dauerausstellung unlängst eröffnet. «reformiert.» hat die Vermittlungsstätte besucht: ein kritischer Augenschein.
Im Genfer Reformationsmuseum erleben die Besucherinnen und Besucher die Geschichte der Reformation, digital und klassich aufbereitet. (Foto: zvg)

Museum im Wohnhaus
Erbaut wurde das Maison Mallet im 18. Jahrhundert an der Stelle des Cloître de Saint Pierre, in dem 1536 die Genfer Reformation verabschiedet wurde. Seit 2005 befindet sich das MIR in diesem einstigen Wohnhaus eines Bankiers neben der Kathedrale Saint-Pierre.
Kritisches Licht auf die christliche Mission
Der Umgang mit dem Kolonialismus ist derzeit in vielen Museen ein Thema, so auch im Musée International de la Réforme. In der bisherigen Dauerausstellung sei die christliche Mission in eher positivem Licht betrachtet worden, so Konservator Jean-Quentin Haefliger. Bei der neuen Ausstellung sei Wert auf einen transparenten Umgang mit dem Thema Kolonialismus gelegt worden. Zum Beispiel sind in einem Raum Bibeln in 244 Sprachen zu sehen. Die Übersetzung der Bibel habe positive und negative Effekte gehabt: Sie stelle einerseits eine Form des Kolonialismus oder der kulturellen Aneignung dar. Andererseits habe sie aber etwa dazu beigetragen, seltene Sprachen zu erhalten. In der neuen Ausstellung sollen nun beide Seiten derselben Medaille gezeigt werden.
Um 180 Grad gedreht
Da der Zugang nicht mehr über den Innenhof erfolgen konnte, drängte sich dem Museum eine vollständige Renovation auf. «Die Dauerausstellung musste um 180 Grad im Haus gedreht werden», sagt Cécile Bertolini-Yano, Kommunikationsverantwortliche des MIR. Nun betritt man das Museum vom Cour de Saint-Pierre her. Hier befand sich einst der ursprüngliche Eingang. Und weiter ist neu ein Bereich für Sonderausstellungen geschaffen worden.
Dem Umstand, dass das Gebäude einst ein Wohnhaus war, wurde bei der Neugestaltung der Ausstellung Rechnung getragen. Zum Beispiel mit den Teppichen: «Mit ihnen wollten wir etwas Wohnliches hineinbringen», sagt Konservator Jean-Quentin Haefliger. Die Motive auf den in der renommierten Manufaktur Pinton in Frankreich handgefertigten Teppichen stammen alle von Objekten aus der Sammlung des MIR, die auch ausgestellt sind. So könnten die Teppiche auch Anlass für ein Suchspiel mit Kindern geben, führt Haefliger aus.
Calvin «persönlich» erzählt
Das Ausstellungsthema einem breiten Publikum zugänglich zu machen, war ein wichtiges Ziel bei der Neugestaltung, wie Bertolini-Yano sagt. Speziell für jüngere Besucher und Besucherinnen, aber auch für Erwachsene interessant sind die animierten Gemälde. Richtet man ein Tablet auf entsprechend markierte Werke, werden Videos abgespielt, in denen die Figuren in den Bildern zum Leben erwachen.
So beispielsweise bei einem Gemälde von Ferdinand Hodler, das den Genfer Reformator Johannes Calvin im Kreis der Lehrer des Collège de Genève darstellt. Von Calvin «persönlich» erfährt man dann, was ihn seinerzeit dazu brachte, diese Schule zu gründen.
Wer gern liest, findet ein reichhaltiges Angebot an Ausstellungstexten in Französisch, Deutsch und Englisch. Die Mehrsprachigkeit sei ihnen wichtig gewesen, sagt Bertolini-Yano. «Wir wollten die Ausstellung auch für Besucherinnen und Besucher aus der Deutschschweiz öffnen.» Es gibt auch einen Audioguide in insgesamt zehn Sprachen.
Allerdings bekundet die Computerstimme etwa mit Jahreszahlen und französischen Namen merklich Mühe, so dass man dann doch lieber die Texte liest. Diese sind in der Audioguide-App ebenfalls in allen zehn Sprachen vorhanden.
Die Ausstellung ist neu chronologisch aufgebaut. Sie beginnt also mit dem Deutschen Martin Luther, dem Urheber der Reformation in Europa. Johannes Calvin stehe, anders als vorher, nicht mehr im Zentrum, so Bertolini-Yano. «Er ist jetzt an seinem Platz im zeitlichen Ablauf der Reformation.» Schlecht kommt er trotzdem nicht weg: Ein Raum ist ganz dem Thema «Genf und Calvin» gewidmet. Insgesamt neun thematische Abteilungen sind im Erd- und im Untergeschoss auf die zwölf Räume verteilt. Die klar gegliederten Wände und die sorgfältige Auswahl der Exponate machen die Orientierung leicht und angenehm.
Farbenspiel an den Wänden
Dabei wurden auch spezielle Präsentationsformen gewählt. So mutet ein Raum kapellenartig an: Bequem auf Bänken sitzend, kann man sich christlich inspirierte Musik vom 16. Jahrhundert bis heute anhören. Gleichzeitig entsteht durch die beweglichen Scheiben eines Glasfensters und einen Beamer ein Farbenspiel an den Wänden.
Insgesamt bietet die Ausstellung einen guten Überblick über das Thema Reformation und Protestantismus. Sie schafft den Spagat von ihren Anfängen in Deutschland über ihre Weiterführung in Genf durch Calvin bis zu ihrer weltweiten Ausbreitung damals und heute.
Die vielfältige Ausstellung ermöglicht es den Besuchenden letztlich, sich selbst, ob gläubig, christlich, protestantisch oder nicht, in die stark vom Christentum geprägte Welt einzuordnen.