Recherche 14. Februar 2020, von Delf Bucher

Internet-Predigt statt Kirchgang

Pandemie

Der Coronavirus versetzt Hongkong in Panik und bringt das soziale Leben zum Erliegen. Gottesdienste finden derweil im Internet statt.

Panik geht in Hongkong zurzeit wegen des Corona-Virus um. Viele Supermärkte sind leergekauft. Die Shoppingmeilen, in denen sich sonst Einkaufstouristen aus China drängeln, präsentieren sich leer. Kindergärten und Schulen sind geschlossen. Auch auf dem Campus der Chinese University of Hongkong herrscht gähnende Leere. 

Hier unterrichtet Tobias Brandner, Theologieprofessor und Mitarbeiter von Mission 21. Er berichtet vom Eingebunkertsein seiner Studierenden: «In der Ungewissheit ziehen sich viele Leute in ihre eigenen vier Wände zurück.» Die Professoren versuchen, via gestreamten Videos ausgefallene Vorlesungen zu kompensieren. «Aber alles Gemeinschaftliche und Soziale, was das Studentenleben ausmacht, ist völlig reduziert», sagt Brandner. 

Quarantäne verordnet 

Das trifft auch für das Kirchenleben in Hongkong zu. In der einstigen britischen Kronkolonie mit 7,5 Millionen Einwohnern gehören mehr als zehn Prozent einer christliche Kirche an. Nun hat sich ein neues Format entwickelt, das an die Stelle des sonntäglichen Kirchgangs getreten ist: der Internet-Gottesdienst. Vorgemacht haben dies die Christen auf dem chinesischen Festland, die früh auf die Social Media ausgewichen sind. Dort ist mittlerweile das Abhalten von Gottesdiensten ganz untersagt. Brandner wertet dies jedoch nicht als kirchenfeindliche Aktion: «Das ist als Präventivmassnahme zu verstehen und von den chinesischen Christen auch weitherum akzeptiert.» 

Trotz des Meidens von Massenaufläufen: Angestellte des Gesundheitswesens demonstrieren vor dem Sitz der Regierung der chinesischen Sonderverwaltungszone und heben Schilder hoch: «Für die Sicherheit von Hongkong». Die Streikenden in den Gesundheitsberufen fordern, dass die Stadt mit dem besonderen Status die Grenze zu Festlandchina schliesst, wie dies die USA oder Australien auch getan haben. «Die chinesische Regierung verurteilt solche Einreiseverbote als Überreaktion», so Brandner. Regierungschefin Carrie Lam gab nun nach und schloss die meisten Grenzübergänge. Inzwischen dürfen Chinesen vom Festland erst nach zweiwöchiger Quarantäne einreisen. 

Tiefes Misstrauen 

«Offiziell geht es den Streikenden nur darum, nach der Sars-Krise von 2003 Hongkong vor einer Pandemie zu bewahren», sagt Brandner. Spürbar sei aber auch hier der Protest gegen China, das immer stärkeren Einfluss auf Hongkong nimmt. Dazu kommt noch das tiefe Misstrauen gegenüber dem Krisenmanagement des kommunistischen Staates. «Keiner glaubt, dass die offiziellen Zahlen von Infizierten oder Todesopfern der Wahrheit entsprechen», sagt der Schweizer Theologieprofessor.