Recherche 23. Juni 2020, von Constanze Broelemann

Bündner Reformierte tagen in Churer Stadthalle

Kirchenparlament

Finanziell steht die Bündner Kirche gut da, aber das wird sich ändern. Ändern wird sich auch eine der Spitzen der Kir­che: Erika Cahenzli-Philipp wurde in den Kirchenrat gewählt

Ausserordentliche Zeiten erfordern ausserordentliche Massnahmen. We­gen des Distanz-Gebotes hatten die Verantwortlichen des Evangelischen Grossen Rates (EGR) die Stadthalle von Chur in ein Parlament umgebaut. Anfang Juni trafen sich die Synodalen, um ihre Frühjahrssitzung abzuhalten.

Noch ist Geld da
Finanziell kann die Bündner Landeskirche ein ausserordentlich gutes Ergebnis bilanzieren. Die Jahres­rechnung schloss im 2019 mit etwa 5800 Franken Gewinn ab. Die Vermögenswerte liegen bei sieben Millionen Franken und der Cash-flow, also die Liquidität aus den Vermögenserträgen, machte ein «Traumergebnis» möglich, so Eugen Caduff, Kirchenrat und zuständig für das Ressort Finanzen. Die Einnahmen aus Steuern, sprich die Kirchensteuerbeiträge, seien im Bündner Land noch hoch, nähmen aber tendenziell ab. Auch die Corona-Pandemie werde finanziell zu Buche schla­gen und Rückstellungen werden angezapft werden müssen: «Wir stehen sehr gesund da, das wird aber nicht so bleiben», sagte Caduff. Auch Robert Heinz, Präsident der Geschäftsprüfungskommission (GPK), rechnet in Zukunft mit finanziellen Einbussen. Daher wolle man eine Arbeitsgruppe einsetzen, die Lösungen sucht, um die mittel- und langfristigen Einbussen adä­quat zu handhaben. Für Andreas Thöny war es die letz­te EGR-Sitzung. Ratspräsident Franz Rüegg verabschiedete den Kir­chenratspräsidenten und sagte, dass er eine Kirche vertreten habe, die da ist für die Menschen. Rüegg lobte Thönys «strukturiertes Denken, seine klare Argumentation, her­vorragende Kenntnisse der Dos­siers sowie seine Beziehungen und Vertrautheit mit dem Kanton». Andreas Thöny selbst gab den Synodalen und dem Rat mit an die Hand, dass «Kirche lebt, aber gefordert ist, weil Menschen heute viele Alternativen haben».

Mit Zuversicht und Gelassenheit
In seine Fussstapfen will Erika Cahenzli-Philipp treten. Die Gross­rätin wurde mit 63 von 68 Stimmen in der Kirchenrat gewählt. Die ausgebildete Primarlehrerin und Kirch­gemeindepräsidentin in Untervaz wird ihr Amt nach erfolgreicher Wahl zur Kirchenratspräsidentin im Herbst am 1. Januar 2021 antreten. «Die menschenfreundliche und sinn­stiftende Botschaft der Kirche motiviert mich, das Amt auszuüben.» Die «Zuversicht und Gelassenheit, dassnicht alles in unserer Hand liege», und die Gleichstellung von Frau­en und Männern nannte sie dabei als Überzeugung. Ausserdem wurde noch der Erlass des Gesetzes über die zukünftig 12 Kirchregionen einstimmig angenommen. Ab Januar 2021 werden diese in Kraft treten können. Wobei die jeweiligen Kirchgemeinden mit einer Bewilligung mehr Zeit haben, um sich zu organisieren. Unter dem Traktandum «aus dem Kirchenrat» informierte Miriam Neubert als Bünd­ner Abgeordnete über die Vor­­kommnisse in der Anfang des Jahres neu aufgestellten Evangelische Kirche Schweiz (EKS). «Ein schwieriger Kurs, auf den das noch junge Schiff EKS geraten ist», sagte Neubert. Es sind ­«Gover­nance-Regeln», also Abhängigkeitsverhältnisse, im Rat verletzt worden. Sieben Frauen haben sich an Neubert und drei andere EKS-Synodale gewandt. Neubert will die Krise dennoch als Chan­ce sehen, sich als EKS neu auszurichten.

​Miriam Neubert, 45

Die Pfarrerin vertritt seit 2013 als Kirchen­rätin die Interessen der Bündner Landeskirche bei der Evangelischen Kirche Schweiz (EKS). Sie lebt seit 2006 in Graubünden und war vorher Vikarin in Filisur und Pfarrerin im Mittelschanfigg. Seit 2013 lebt
sie in Tamins und teilt sich die Pfarrstel­le mit ihrem Mann. Zusammen haben sie zwei Söhne im Schulalter. Neubert studiert (nebenberuflich) Coaching, Supervision und Mediation in Zürich.

"Die menschenfreundliche und sinnstiftende Botschaft der Kirche motiviert mich, das Amt auszuüben.»
Erika Cahenzli-Philipp

«Sie wollten das System aufdecken»

Sie waren unter den Synodalen, denen sich sieben Frauen offenbart haben. Warum?  

Miriam Neubert: Zunächst einmal ha­be ich mich über die Kontaktaufnahme gefreut. Wir Angesprochenen sind Synodale, die schon lange Offenheit signalisieren. Wir setzen uns für Kirchenstrukturen ein, die transparent und tragfähig sind, die sich für eine Kultur des Miteinanders einsetzen. Ausserdem bin ich Mitglied im Ausschuss der Frauen­konferenz und daher auch immer of­fen für Anliegen von Frauen. Dort weisen wir wieder und wieder auf strukturelle Gewalt hin – in der gan­zen Gesellschaft, aber auch in der Kirche. Da liegt es nahe, bei uns auch eine Bereitschaft zum Zuhören zu ver­muten.
Warum wollen die Frauen sich nicht öffentlich äussern?

Es sind tiefe Verletzungen da. Wir haben es hier mit sehr reflektierten Frauen zu tun, die einen bewussten Umgang mit den Erlebnissen haben. Sie wollten einen Beitrag leisten, das System aufzudecken und andere Personen vor Ähnlichem zu bewahren. Die Namen der Frauen sind uns bekannt, sie gehören aber nicht in die Öffentlichkeit.

Sie und Ihre Bündner Mandatskollegen haben die Geschäfte in Bern immer kritisch verfolgt. Woher kommt diese Vorsicht vor Machtfülle?  

Traditionell ist in der Bündner Landeskirche eine sehr liberale Haltung vorzufinden. Als wir drei  Sy­­­nodale unser Mandat antraten, war Gottfried Locher bereits im Amt. Wir waren immer kritisch, zum Beispiel bei der Verfassungsreform. Haben uns daran ge­stossen, wenn Vorlagen, die von Synodalen abgelehnt wurden, in fast gleicher Form wiederkamen. Folglich haben wir uns mit Gleichgesinnten vernetzt. Als gute Demokraten waren wir mit dem ehemaligen Ratspräsidenten zwar immer diplomatisch und konstruktiv, aber kritisch. Verantwortung aufzuteilen entspricht unserer Doppelspitze in der Bündner Kirche aus Dekanat und Präsi­dium. Wir haben Strukturen, die Machtmissbrauch erschweren und Teamfähigkeit nötig machen.