Kirche verabschiedet sich definitiv von der Marktmiete

Immobilien

Die Kirchgemeinde Zürich legt ihr umstrittenes Immoblien-Leitbild zu den Akten. Die Kirchenpflege setzt auf die Kostenmiete und verlangt, dass der Wohnraum optimal genutzt wird.

Harsche Kritik handelte sich die Stadtzürcher Kirchgemeinde in der Vergangenheit mit ihrer Immobi­lienstrategie ein: Sie wollte sich bei der Vermietung von Wohnungen an Marktpreisen orientieren, so sah es ein Leitbild von 2016 vor.

Angesichts des hart umkämpften Zürcher Wohnungsmarkts reg­te sich auch intern Widerstand. Der damalige Aussersihler Kirchenpflegepräsident Hannes Linden­meyer lancierte eine Petition gegen das Vorhaben. Die zentrale Forderung: Die Kirche solle Wohnungen kostendeckend vermieten und günstigen Wohnraum schaffen.

Unter Beobachtung

Der Protest zeigte Wirkung. In ­einem neuen Merkblatt zur Vermietung hat die Kirchgemeinde ­ihre Kriterien zur Wohnungsvergabe prä­zisiert und sich vom einst beschlossenen Leitbild verabschiedet. Sie will auch dem Vorwurf begegnen, Wohnungen würden unter der Hand vergeben. Tatsächlich hatten die einzelnen Kirchgemeinden der Stadt in der Vergangenheit häufig nach eigenem Ermessen über Mietverhältnisse entschieden.

Durch die Fusion von 32 Gemeinden 2019, mit der eine zentrale Immobilienverwaltung einherging, wur­den einheitliche Kriterien unabdingbar. «Als grösste Kirchgemein­de der Schweiz sind wir stärker auf dem Radar und wollen transparent darlegen, auf welche Prinzipien wir uns bei der Vermietung stützen», sagt Kirchenpfleger Michael Hauser, zuständig für den Bereich Immobilien. «Wir geben mit den neuen Regeln ein klares Sozial- und Nachhaltigkeitsstatement ab und wol­len zugleich gut haushalten.»

Keine Vergabe unter der Hand

Das Portfolio der Kirchgemein­de umfasst etwa 300 Gebäude mit ­einem Wert von rund 1,2 Milliarden Franken. Zwar handelt es sich zu 80 Prozent um kirchliche Bauten. Ent­halten sind aber auch 300 Woh­nun­gen. Etwa 35 werden von Pfarr­­personen bewohnt, noch einmal so viele von aktuellen oder ehemaligen Mitarbeitern, häufig Sigristen.

Neu schreibt die Kirchgemeinde alle frei werdenden Wohnungen, die nicht als Dienstwohnungen genutzt werden, öffentlich aus. Bei der Vergabe soll darauf geachtet werden, dass der Wohnraum optimal genutzt wird. Eine Person pro Zimmer, so lautet die Regel, die oft auch von Genossenschaften angewendet wird. «Gröss­te Zurückhaltung» gilt bei Be­werbungen aus dem kirchlichen Um­feld. Bestünden Beziehungen zur Kirche, müssten Bewerber auf diese hinweisen und die Zustimmung der Kirchenpflege einholen.

Ein fairer Zins

Nach welchem Prinzip genau die Mietpreise künftig festgesetzt werden, lässt das Merkblatt offen. Festgelegt ist, dass Mietinteressenten mit den tiefsten Einkommen bevorzugt behandelt werden sollen.

Auf Nachfrage erklärt Hauser: «Wir orientieren uns bei den Mietpreisen am Kostenmietmodell der Stadt Zürich.» So werde ein massvoller Ertrag erzielt, der vor allem den Unterhalt decke sowie Rückstel­lungen für Erneuerungen ermögliche. Die Kostenmiete bedeute günstigere Mieten als renditeoptimierte Objekte auf dem freien Woh­nungs­markt, sagt Hauser. «Der Mietzins soll fair sein.»

Soziale Verantwortung

Hannes Lindenmeyer, einstiger Kritiker des Leitbilds, bezeichnet das Merkblatt als wesentliche Verbesserung, insbesondere weil das Prinzip der Marktmiete passé ist. «Die Belegungsvorschrift ist strikt und hat zur Folge, dass auch grössere Familien Wohnraum erhalten dürften.» Dass Menschen mit tieferem Einkommen bevorzugt werden, sei entscheidend. «Die Vermietungspra­xis der Kirche muss sich an den Einkommensschwachen ausrichten.» Eher kritisch sieht Lindenmeyer, dass das Merkblatt nicht explizit fest­hält, dass die Kirche Wohnungen für Hilfsorganisationen oder Verbände reservieren muss.

Eher schwammig heisst es, die Kir­chenpflege könne beschliessen, Wohnungen für soziale Zwecke zur Verfügung zu stellen. Kirchenpfleger Hauser verweist darauf, dass in­teressierte Verbände ein Gesuch stel­len könnten. «Wir sind uns der sozialen Verantwortung bewusst.»

Winterthur will Rendite

Mit der neuen Regelung geht Zürich weiter als etwa Winterthur. Auch dort steht eine Gemeindefusion zur Debatte, die Immobilienverwaltung soll künftig das Sekretariat des Stadtverbandes übernehmen, wie der geschäftsführende Sekretär Adrian Honegger erklärt.

Das Winterthurer Leitbild for­mu­liert das Ziel, Rendite zu erwirt­schaf­ten und sich am Marktpreis zu orientieren. Die Umsetzung solle aber mit Augenmass und nach von der Kirche gelebten Werten erfolgen, heisst es. Aus sozialen Gründen reduzierte Mietzinse müssen bewilligt werden. Allerdings: Der Immobilienbestand ist ungleich klei­ner. Die Gemeinde vermietet nur 28 Wohnungen.