«Das Interesse ist gross, aber die Angst eben auch»

Nachhaltigkeit

Pfarrer und Umweltexperte Andreas Frei über das Label «Grüner Güggel», Chancen und Herausforderungen der Zertifizierung und Nachhaltigkeit als Glaubwürdigkeitsfrage. 

Der «Grüne Güggel» ist eigentlich ein Importhahn aus Deutschland. Er wurde vor 20 Jahren in Baden-Württemberg konzipiert als «Grüner Gockel». In der Schweiz ist das Label erst jetzt zunehmend gefragt. Woran liegt das?

Ich habe vor zehn Jahren den «Grünen Güggel» mit in die Schweiz gebracht und erste Gemeinden zertifiziert. Aber es ist tatsächlich so, das Label ist hierzulande jetzt erst im Kommen. Dass der Gockel damals in Deutschland konzipiert wurde und dort mittlerweile über 800 Kirchgemeinden zertifiziert sind, dürfte daran liegen, dass es in den deutschen Landeskirchen Umweltbeauftragte gibt. Sie kümmern sich explizit um die Bewahrung der Schöpfung in der Kirche.

Das heisst, hier fehlen die geeigneten Strukturen oder konkrete Ansprechpartner?

Ich würde zumindest sagen, ein Engagement der Landeskirchen ist sehr wichtig. Da gibt es hierzulande deutliche Unterschiede. Im September veranstalten wir ein Netzwerktreffen mit Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Landeskirchen. Dabei werden einige, die schon weiter sind mit Umweltthemen, wie etwa Bern oder Zürich, anderen Inputs geben.

Das sind zwei Kantone mit grossen Städten. Gibt es bei kirchlichen Umweltthemen einen Stadt-Land-Graben?

Tendenziell sind die Städte bei Umweltthemen weiter. Die reformierte Landeskirche Zürich hat etwa angekündigt, den «Grünen Güggel» für alle Kirchgemeinden verbindlich zu machen. Aber es gibt auch ländliche Kantone wie den Thurgau, die sehr erfolgreich sind. Die katholische Landeskirche dort hat eine ständige Kommission «Kirche und Umwelt» und es sind bereits zehn Gemeinden mit dem «Grünen Güggel» zertifiziert. Das sind für so einen kleinen Kanton sehr viele.

Die Kirche sollte die Nachhaltigkeit auch in ihrem Kerngeschäft im Blick behalten. Zeigen, dass es für das wahre Glück mehr als Wohlstand braucht.
Andreas Frei, «Fachstelle Oeku Kirchen für die Umwelt»

Woran liegt es, dass man bei Gemeinden oft noch Zurückhaltung spürt. Fehlt das Interesse?

Nein, das Interesse ist gross aber die Angst eben auch.

Die Angst wovor?

Vor der Arbeit. Sich zertifizieren zu lassen ist kein Zuckerschlecken. Es braucht finanzielle und personelle Ressourcen. Und am wichtigsten: Der Prozess braucht Unterstützung in der Gemeinde. Durch einen Vertreter der Kirchenpflege, durch Mitarbeiter und Freiwillige, die sich gemeinsam für das Label engagieren und ein Umweltteam bilden. Ist dieses Team motiviert und arbeitet gut zusammen, klappt das aber in der Regel sehr gut und die Arbeit kann auf mehreren Schultern gut verteilt werden.

Der «Grüne Güggel» schreibt keine konkreten Ziele vor, etwa mit Blick auf Emissionen. Ist er nicht eher ein Papiertiger?

Er ist ein Prozesslabel, das stimmt. Anders als etwa das Minergie Label, das klare Grenzen setzt, müssen Gemeinden in erster Linie bestimmte Schritte durchlaufen und erhalten so das Zertifikat. Aber auch beim «Grünen Güggel» müssen sich Gemeinden messbare Ziele setzen. Das Label hat einen breiten Ansatz. Im Rahmen der Energiebuchhaltung werden Wasser, Strom und Wärmeenergie in einem Online-Tool, dem «Grünen Datenkonto», erfasst. Hinzu kommen viele andere Aspekte, die Gemeinden anschauen können, beispielsweise die Biodiversität der Grünflächen, das Vermeiden von Foodwaste, die Nachhaltigkeit beim Einkauf. Mit der Erstzertifizierung fängt der Weg ja erst an.

Ökologischen Fussabdruck erfassen

Mit dem Umweltmanagementsystem «Grüner Güggel» können Kirchgemeinden ihren ökologischen Fussabdruck messen und verbessern. Der Weg erfolgt vom Beschluss der Kirchenpflege bis zur Erstzertifizierung in zehn Schritten. Begleitet wird der gemeindeinterne Prozess von einem kirchlichen Umweltberater oder Beraterin. Diese Person kann extern engagiert oder intern innerhalb der Kirchgemeinde ausgebildet werden. Entsprechende Kurse bietet die Fachstelle «Oeku Kirchen für die Umwelt» an. Die Zürcher Landeskirche übernimmt einen Teil der Ausbildungskosten für Mitglieder, die ihre Gemeinde auf dem Weg zum «Grünen Güggel» begleiten möchten. Zudem ermöglicht sie Gemeinden, die Zertifizierung gemeinsam anzugehen und so Kosten zu sparen. Informationen: www.zhref.ch/intern/umwelt

Wie weit kann eine Gemeinde gehen mit Blick auf Nachhaltigkeit?

Erste Kirchgemeinden wie Stäfa (ZH) oder Köniz (BE) denken darüber nach, CO2 neutral zu werden. Dazwischen gibt es viele Schritte: Eine Gemeinde kann «urwaldfreundlich» werden, also beim Holz- und Papiereinkauf gewissen Kriterien erfüllen, sie kann die Lieferketten von Firmen, mit denen sie zusammenarbeitet, in den Blick nehmen oder einen Mobility-Parkplatz bereitstellen. Und ein ganz wichtiger Aspekt: Die Sensibilisierung der Mitglieder für Umweltaspekte.

Das heisst?

Sie könnte zum Beispiel jedes Jahr vier Veranstaltungen oder Gottesdienste zum Thema Umgang mit der Schöpfung ansetzen. Denn die Kirche sollte die Nachhaltigkeit auch in ihrem Kerngeschäft im Blick behalten. Zeigen, dass es für das wahre Glück mehr als Wohlstand braucht. Das brisante Thema «Nachhaltigkeit» soll die Kirche klar und mutig angehen. Mit dem «Grünen Güggel» tut sie dies glaubwürdig. Das Thema Nachhaltigkeit wird an Dringlichkeit noch zunehmen.

Gibt es denn Themen, mit denen sich Gemeinden besonders schwer tun?

Die Beheizung der Kirche ist ein heikles Thema. Eine Kirche um ein Grad wärmer zu heizen lässt die Energiekosten schnell um sechs Prozent steigen. Dennoch wollen viele Gemeinden die Gebäude nicht kühler bewirtschaften.

Man will die Menschen, die oft auch älteren Semesters sind, ja wohl ungern mit einer unterkühlten Kirche vergraulen.

Die Kirchen in Engelberg und Einsiedeln sind gar nicht beheizt, dort hat es im Winter manchmal nur 5 Grad. Trotzdem kommen auch viele ältere Menschen in den Gottesdienst. Aber klar: man muss von der Gewohnheit der Nutzer und Nutzerinnen ausgehen und langsam die Kirchentemperatur reduzieren. Vor allem wenn keine Anlässe stattfinden. Es gibt auch noch andere Massnahmen, um es den Besuchern angenehmer zu machen. Etwa Zugluft vermeiden oder beheizte Sitzkissen. Ein gutes, kühles Raumklima tut auch der Orgel gut. Sie braucht dann weniger Revisionen. So wird wieder Geld gespart.

Sie schätzen die Kosten für das Label grob auf 4000 bis 6000 Franken. Wie hoch sind denn die Einsparungen, die durch ein gutes Umweltmanagementsystem erreicht werden können?

Aus Deutschland, wo das System ja weit verbreitet ist, weiss man, dass sich allein durch Betriebsoptimierung zehn bis 15 Prozent an Energiekosten sparen lassen. Das ist je nach Grösse der Gemeinde viel Geld.

Der «Grüne Güggel» sieht auch vor, dass sich jede Gemeinde zu Beginn Schöpfungsleitlinien gibt. Was heisst das?

Das ist ein sehr schöner Aspekt der Zertifizierung. Im Grunde ist es ein intimes Bekenntnis der jeweiligen Gemeinde zu ihrem Engagement für Nachhaltigkeit. In den Leitlinien spürt man letzteres manchmal deutlich aus den Formulierungen heraus. Die Schöpfungsleitlinien schaffen auch eine Verbindlichkeit. Heisst es dort etwa, man wolle möglichst umweltfreundliche Ressourcen einsetzen, kann man bei der anstehenden Erneuerung der Heizungsanlage nicht einfach wieder eine Ölheizung einbauen. Manche Gemeinden lassen die Leitlinien sogar von der Kirchgemeindeversammlung genehmigen. So haben sie Bestand, bis sie von der Versammlung widerrufen würden. Das ist dann ein starkes Signal.

Pfarrer und Umweltberater

Pfarrer und Umweltberater

Andreas Frei ist reformierter Pfarrer und kirchlicher Umweltberater bei der Fachstelle «Oeku Kirchen für die Umwelt». Diese berät Kirchen in Umweltfragen, bietet Aus- und Weiterbildungen und ist Zertifizierungsstelle für den «Grünen Güggel». Oeku ist als Verein organisiert und setzt sich aus mehreren hundert Kollektiv- und Einzelmitgliedern zusammen, darunter viele Kirchgemeinden und kirchliche Organisationen.(Bild: zvg)