In Zukunft sollen alle zu potentiellen Organspendern werden. Am 5. Mai hat der Nationalrat der erweiterten Widerspruchslösung zugestimmt (siehe unten). Für die Ethikerin und reformierte Theologin Ruth Baumann-Hölzle stellt diese eine «massive ethische Grenzüberschreitung» dar. «Fundamentale Rechte wie das Recht auf körperliche Integrität und auf Unversehrtheit während des Sterbeprozesses und beim Hirntod werden mit der neuen Regelung mit Füssen getreten», sagt Baumann-Hölzle. Die Widerspruchsregelung sei verfassungswidrig, da der Nutzen über die Würde gestellt werde. «Die Würde eines Menschen ist laut Verfassung aber unantastbar.»
Heute gilt in der Schweiz bei der Organspende die Zustimmungslösung: Eine Organspende kommt nur dann infrage, wenn die verstorbene Person zu Lebzeiten einer Spende zugestimmt hat. Liegt keine Willensäusserung vor, müssen die Angehörigen entscheiden. Die neue Regelung hätte laut Baumann-Hölzle einen Paradigmenwechsel weit über die Medizin hinaus zu Folge: «Das Verhältnis von Individuum und Staat wird auf den Kopf gestellt. Der Staat schützt nicht mehr die Integrität des Einzelnen, sondern der Einzelne wird zum Organlieferanten des Staates.» Mit weitreichenden Konsequenzen: Auch Blutspende oder Stammzellenspende könnten so bald zur Pflicht werden, befürchtet die Ethikerin. Sie sieht gar die Eigentumsrechte in Gefahr: «Man stelle sich vor, das Haus oder das Auto würden nach dem Tod automatisch an den Staat fallen, ausser man habe sich vor dem Tod dagegen ausgesprochen.»