Recherche 17. September 2018, von Tilmann Zuber

«Ich erhoffe mir ein Zusammenwachsen der Kirchen in Europa»

Ökumene

Ohne Geist und Spiritualität fehle dem Leben der Sinn, sagt Bundesrat Ignazio Cassis. Und Friedensförderung gehöre zum guten Dienst der Schweiz und der Kirchen.

Herr Bundesrat, die Kirchen sind in der Schweiz die Angelegenheit der Kantone. Trotzdem, was erwarten Sie als Bundesrat vom künftigen Dialog zwischen den Evangelischen und dem Vatikan?

Ignazio Cassis: Wachstum, Frieden, Überlegungen und Lösungen zu den Konflikten unserer Welt. Konkret verspreche ich mir von dieser Absichtserklärung ein Zusammenwachsen der Kirchgemeinden und Kirchen auf europäischer Ebene. Und – das ist der Grund, dass ich heute da bin – die katholische Kirche setzt mit dieser Absichtserklärung ein starkes Zeichen, dass sie sich auf diesen Prozess einlassen will. Die gemeinsame Erklärung ist ein wichtiger Schritt, das Gemeinsame zu betonen und nicht das Trennende wie in der Vergangenheit. Natürlich ist der ganze Dialog noch sehr unsicher.

Das Gespräch zwischen den Evangelischen und dem Vatikan versteht sich auch als Beitrag zum Friedensprozess in Europa. Was können die Kirchen dazu beitragen?

Die fünf Aspekte, die GEKE-Präsident Gottfried Locher in seiner Predigt erwähnt hat: Hinsehen, nicht wegsehen, streiten, aber fair bleiben, selbstkritisch bleiben, sich an Christus orientieren und den Frieden in Gerechtigkeit suchen. Das zeichnet den friedlichen Dialog aus, bei dem es um die Sache geht. Ohne gegenseitigen Respekt und den Geist des Kompromisses funktioniert es nicht. Das gilt auch für die Arbeit des Bundesrates.

Oftmals zielt man heute bei Auseinandersetzungen auf einzelne Persönlichkeiten und bestimmte Gruppierungen.

Leider leben wir in einer Zeit, in der die Auseinandersetzung auf Personen, Gruppierungen und Gesichter zielt. Das ist nicht konstruktiv. Man sollte sich für die Sache engagieren und darlegen, warum man welche Konflikte lösen will. Das ist unsere Aufgabe und entspricht unserer Realität. Alles andere ist Spektakel.

Als Aussenministier beschäftigen Sie sich mit den weltweiten Konflikten. Wo kann da die Kirche den Friedenprozess stärken?

Überall. In jedem Land spielt die Spiritualität eine wesentliche Rolle. Unser Leben hätte ohne Geist und Spiritualität keinen Sinn. Ich bin überzeugt, dass auf der Erde Milliarden Menschen die Spiritualität pflegen. Die Kirchen sind das Instrument, das es ihnen ermöglicht, sich damit auseinanderzusetzen und sich mit gewissen Eckwerten wie Frieden, Respekt und Versöhnung zu identifizieren. Das ist ein wichtiger Beitrag zur Lösung der weltweiten Konflikte.