Recherche 26. März 2020, von Nicola Mohler

«Kollektives Eieressen finde ich unsinnig»

Tradition

Die Theologin Luzia Sutter-Rehmann plädiert für mehr Rituale an Karfreitag und dafür, keine Tiere fürs Osteressen leiden zu lassen.

Was essen Reformierte an Ostern?

Luzia Sutter-Rehmann: Die Tradi­tion, an Karfreitag Fisch und an Ostern Lamm oder Gitzi zu essen, halte ich für eine Idealisierung: Dieses Menü  geht auf eine Zeit zurück, in der die Mehrheit der Bevölkerung arm war und sich die saisonalen Jungtiere gar nicht leisten konnte.
 
Die Gesellschaft verändert sich, die Traditionen aber bleiben.

Genau. Früher ass man während der Fastenzeit keine tierischen Produkte. Mit dem ab Aschermittwoch geltenden Fastengebot reagierte die katholische Kirche auf die Not der Menschen. Sie versuchte, der Armut mit dem bewussten Verzicht auf Nahrung einen Sinn zu geben.

Heute leben wir im Überfluss.

Mit der Folge, dass wir nicht mehr wissen, dass Hühner von Herbst bis in den Frühling eigentlich keine Eier legen. Ihnen fehlt das Licht, das für die Kalkproduktion nötig ist. Ihnen fallen ja auch die Federn aus. Die Hühner legen heute nur unter Kunstlicht das ganze Jahr Eier.

Für Ostern fährt die Industrie gar die Eierproduktion hoch.

Aus Respekt gegenüber den Hühnern könnte die Kirche dazu auf­rufen, an Ostern keine Eier mehr zu essen. Wir Reformierten folgen dem Credo «semper reformanda», also, sich ständig zu erneuern. Wir sollten uns auch bei Bräuchen fragen, ob diese noch sinnvoll sind. Sind sie es nicht mehr, gilt es, diese loszulassen. Ein kollektives Eier­essen finde ich unsinnig. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich finde es schön, wenn eine Gesellschaft kollektiv teilt und feiert. Aber nicht, wenn Tiere darunter leiden.

Wie feiern Sie Ostern?

Wir sind zu Hause, die Familie trifft sich, und wir besuchen Freunde. Bis heute noch verstecken wir Osternester. Da unsere erwachsenen Töchter vegan leben, bestücken wir die Osternester entsprechend. Die Tage von Karfreitag bis Ostern sind bei uns ruhige Tage.

Für die Reformierten ist Karfreitag der höchste Feiertag.

Der Karfreitag ist ein schwarzer Tag, der uns an Gewalt und Repression erinnern kann, weniger ein Feiertag. Leider kennen wir Reformierten für diesen Tag kaum noch Rituale. Anders die Katholiken: Mit dem Kreuzweg oder Prozessionen bringen sie Menschen zusammen, die sich gegenseitig in der Trauer tragen lernen. Ich würde es begrüssen, wenn Menschen mit Blumen und Kerzen am Karfreitag in der Kirche oder anderswo zusammenkommen würden – so, wie wir es heute tun, wenn etwas Schlimmes passiert. ­Einander Halt geben ist wichtig. An Ostern würde dies zudem die Freude über die  Aufer­stehung Jesu verstärken.

Luzia Sutter-Rehmann, 60

Die Studienleiterin im Arbeitskreis für Zeitfragen der evangelisch-reformierten Kirche in Biel lehrt Neues Testament als Titularprofessorin an der Theologischen Fakultät der Universität Basel. Die Theologin leitete über-
dies ein Forschungsprojekt des Schweizer Nationalfonds zum Thema gemeinsame Mahlzeiten.