EKS-Rat lehnt Verhüllungsverbot ab

Politik

Ein Verhüllungsverbot taugt nicht als Mittel gegen die islamistische Ideologie, sagt EKS-Präsidentin Rita Famos. Sie setzt auf Dialog statt Verbote. Abgestimmt wird am 7. März.

Der Rat der Religionen begründet sein Nein zum Verhüllungsverbot mit der Religionsfreiheit und damit, dass Menschen und religiöse Gemeinschaften ein Recht darauf hätten, «ihre Lebensform frei zu wählen». Was tut der Rat dafür, dass auch innerhalb der Religionsgemeinschaften die freie Wahl der Lebensform gewährleistet ist?

Rita Famos: Wenn eine Frau gezwungen wird, einen Ganzkörperschleier zu tragen, ist der Straftatbestand der Nötigung erfüllt. Zwang ist also bereits heute verboten. Ich nehme den Rat der Religionen jedoch beim Wort, wenn er sich in seiner Stellungnahme explizit zum Recht auf Selbstbestimmung jeder einzelnen Person und zur Gleichberechtigung der Geschlechter bekennt. Das bedeutet, dass es Frauen in den Religionsgemeinschaften, die dem Rat angehören, jederzeit freigestellt sein muss, ihre Kopfbedeckung oder ihre Ganzkörperverschleierung auch wieder abzulegen.

Zur Abstimmung

Am 7. März wird über die Initiative für ein Verhüllungsverbot abgestimmt. Sie verlangt: «Niemand darf sein Gesicht im öffentlichen Raum und an Orten verhüllen, die öffentlich zugänglich sind oder an denen grundsätzlich von jedermann beanspruchbare Dienstleistungen angeboten werden». Explizit verboten wird zudem, eine Person zu zwingen, «ihr Gesicht aufgrund ihres Geschlechts zu verhüllen». Ausnahmen sieht der Initiativtext bei verhüllten Gesichtern «aus Gründen der Gesundheit, der Sicherheit, der klimatischen Bedingungen und des einheimischen Brauchtums» vor.

Bundesrat und Parlament lehnen die Initiative ab

Die Botschaft des Bundesrats im Wortlaut
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Der Rat schreibt weiter, die Verhüllung des Körpers sei «Ausdruck der menschlichen Ehrfrucht vor der Heiligkeit der Gottheit und der Scham ihr und den Menschen gegenüber». Ist das auch Ihre Interpretation?

Der Rat spricht hier von Verhüllung allgemein. Die Kippa der jüdischen Männer gehört hier ebenso dazu das Gewand der Ordensfrauen in der katholischen Kirche. Es ist wichtig, dass gerade wir als Religionsgemeinschaft die religiöse Dimension der Verhüllung des Körpers zur Sprache bringen. Sie steht in der politischen Debatte schnell hinten an.

Aber hinter der Burka steht doch eine islamistische Ideologie, die Frauenrechte verletzt und der liberalen Gesellschaft den Kampf angesagt hat.

Bei Niqab und Burka haben wir es mit zwei Seiten einer Medaille zu tun. Diejenigen muslimischen Frauen, die in der Schweiz leben und sich zu ihrer Kleidung äussern, sagen, dass Niqab oder Burka ihre religiöse Ausdrucksform der Gottesverehrung sind. Es ist überheblich und paternalistisch, ihnen zu sagen, dass das nicht stimmt. Wir müssen das eigene Befremden ihrer Praxis gegenüber aushalten, oder noch besser mit ihnen in ein offenes, vertieftes Gespräch kommen. Wenn Islamkennerinnen uns sagen, dass diejenigen Frauen, die sich nicht äussern, meistens nicht aus freien Stücken diese Kleidung tragen, sollten wir ihnen glauben und sehr aufmerksam sein, dass unsere liberale Gesellschaft nicht untergraben wird. Dennoch komme ich zu einem anderen Schluss: Ein Verbot befreit diese Frauen nicht.

Ich mache mich stark für Anlaufstellen für Frauen, Gesprächskreise, Ausbildung der Imame in der Schweiz, transparente Geldflüsse.

Muss der Rat der Religionen den Reformierten dankbar sein, dass eine Frau an ihrer Spitze steht? Ohne Sie würden lauter Männer über verhüllte Frauen sprechen.

Ich glaube schon, dass bis jetzt die Sicht der Frau im Rat gefehlt hat und es eine Horizonterweiterung ist für den Rat. Aber im Rat der Religionen bin ich zuallererst Vertreterin der Evangelisch-reformierten Kirche der Schweiz und keine Quotenfrau.

«Wir sollten den Mut haben, für unsere humanistischen und auf den Menschenrechten basierenden Werte einzustehen.» So begründet die Politologin Elham Manea, weshalb sie die Initiative für ein Verhüllungsverbot unterstützt. Ein Satz, den die EKS im Vorfeld vergangener Initiativen noch so gerne unterschrieben hat. Warum gilt er diesmal nicht?

Dieser Satz gilt selbstverständlich in Sachen Verhüllungsverbot genauso wie früher auch. Der Einsatz für diese Werte ist eine Daueraufgabe. Ich stimme dem Zitat von Elham Manea zu, wir stehen für dieselben Werte ein. Ich ziehe daraus aber einen anderen Schluss für das Verhüllungsverbot, das in meiner Sicht die liberalen Werte nicht stärkt, sondern schwächt. Ich mache mich stark für Aufklärung, Kontaktpunkte und Anlaufstellen für Frauen, Gesprächskreise, Ausbildung der Imame in der Schweiz, transparente Geldflüsse der Religionsgemeinschaften. Hier haben wir noch lange nicht alles ausgeschöpft.

Wir sollten liberale Errungenschaften nicht verteidigen, indem wir verfassungsmässig garantierte Freiheiten über Bord werfen.

Die EKS schreibt in ihrer ergänzenden Stellungnahme: «Die christliche face-to-face-Theologie hat nicht nur unsere Kultur, sondern auch unsere Politik wesentlich geprägt». Wären der Religionsfreiheit also nicht Grenzen zu setzen, wenn es um die fundamentale Errungenschaft geht, dass alle Menschen sich als unverwechselbare Individuen zu erkennen geben?

Ja, es stimmt: Gemeinschaft gelingt nur dort, wo Menschen sich mit ihren Ansichten und Meinungen zu erkennen geben, im wörtlichen Sinn Gesicht zeigen. Gleichzeitig kann aber die öffentliche, unverhüllte Teilhabe nicht erzwungen werden, ausser es geht eine tatsächliche Gefahr aus, was im Moment nicht der Fall ist. Deshalb halten wir auch den Gegenvorschlag mit seinen Fördermassnahmen für Frauen für nützlich. Er sieht keine generelle Enthüllung vor, sondern nur, wenn dies für die Identifikation durch Behörden notwendig ist. Er sieht aber auch Unterstützungsmassnahmen vor für Projekte rund um Aufklärung und Gleichstellung. Ich hoffe, dass die liberalen Musliminnen hier den Bundesrat beim Wort nehmen und entsprechende Beiträge beantragen und Projekte aufgleisen oder weiterführen.

Selbst wenn ein Verhüllungsverbot nur Symbolpolitik wäre, so würde zumindest ein Pflock eingeschlagen: Gesicht zu zeigen, gehört in einer liberalen Gesellschaft dazu.

Richtig, Gesicht zeigen gehört zur offenen Gesellschaft dazu. Wir sollten unsere fundamentalen liberalen Errungenschaften aber nicht verteidigen, indem wir andere, wie zum Beispiel die verfassungsmässig garantierten Freiheiten, ohne Not einfach über Bord werfen. Sind wir in der Schweiz nicht offen genug, sagen zu können: Ja, der Anblick einer Frau, die eine Burka trägt, befremdet mich? Diese Andersartigkeit auszuhalten und einen respektvollen Umgang damit zu finden, das sind wir uns gegenseitig in einer pluralistischen Gesellschaft schuldig. Gleichzeitig müssen wir eine Kultur des Dialogs fördern, anstatt Verbote auszusprechen. Wir müssen der Überzeugungskraft einer freien und offenen Gesellschaft und ihrer Integrationskraft vertrauen und daran festhalten.

Rita Famos

Rita Famos

Rita Famos ist Präsidentin der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (EKS). Zuvor hatte sie sieben Jahre die Abteilung für Spezialseelsorge der reformierten Landeskirche des Kantons Zürich geleitet. Die Pfarrerin wurde 1993 durch die Berner Kirche ordiniert und war danach 18 Jahre lang als Gemeindepfarrerin in Uster und Zürich tätig. Acht Jahre politisierte sie in der Zürcher Synode, 2011 wurde sie in den Rat des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbunds (SEK) gewählt. Bis 2014 blieb sie im Rat und war Präsidiumsmitglied der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen der Schweiz. Als EKS-Präsidentin ist sie Mitglied im Schweizerischen Rat der Religionen.