Soll eine Volkskirche, die für alle da sein will, kirchliche Eheschliessungen zwischen gleichgeschlechtlichen Paaren erlauben? Gerade in einer reformierten Landeskirche wie jener im Kanton Bern, in der viele Mitglieder evangelikal ausgerichtet sind und sich mit der Homosexualität teils eher schwertun?
Hier hilft nur umsichtiges Vorgehen. Eine Gesprächssynode, das Anhören und auch Ernstnehmen unterschiedlicher Ansichten und eine bestens vorbereitete Vorlage führten schliesslich dazu, dass «Kirchliche Trauung für alle» 2022 an der Synode der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn (Refbejuso) mit grossem Mehr angenommen wurde, quer durch die Fraktionen.
«Es gibt kaum eine Kirche in der Schweiz, die sich diesem Thema mit so umfassender Sorgfalt gewidmet hat wie wir. Und ich bin stolz darauf, dass in unserer Kirche eine solche Gesprächskultur herrscht.» Der das sagt, gehört zu jenen, die diesen herausfordernden Prozess an vorderster Front aufgleisten und begleiteten: Matthias Zeindler, der in der akademischen und kirchlichen Welt breit vernetzte Bereichsleiter Theologie von Refbejuso.
Ende November geht er in Pension. Zeit also, Bilanz zu ziehen. Sein Büro im «Haus der Kirche» am Berner Altenberg liegt im fünften und somit obersten Stock. «Natürlich gebührt der Theologie der Platz zuoberst», scherzt er. Von der Fensterfront aus bietet sich ein schöner Blick auf die Altstadt und die ihr zu Füssen grün dahinfliessende Aare.
Der Brückenbauer
Der Prozess rund um die «Ehe für alle» bezeichnet Zeindler als «eine Sternstunde der Fachstelle Theologie», die er im Frühling 2010 übernahm und 14 Jahre leitete. Mit seiner bedachten sowie reflektierten Art hat er Brücken gebaut, nicht nur im erwähnten Geschäft.
So haben Refbejuso und fünf nahestehende evangelische Gemeinschaften im November 2013 eine Erklärung verabschiedet, die das Ziel hatte, alte Fronten aufzuweichen. Wer «besser» glaubt, diejenigen mit dem bibeltreuen oder die mit dem historisch-kritischen Ansatz, sollte fortan nicht mehr die grosse Frage sein: Vielmehr fordert das Papier gegenseitige Achtung und das Bestreben, «unseren Dienst nicht gegeneinander, sondern miteinander in einer Haltung der Partnerschaft und Geschwisterlichkeit zu erfüllen».
Als einstiger Pfarrer in Biberist-Gerlafingen und später dann in Erlach kennt Zeindler das kirchliche Gemeindeleben aus nächster Nähe. Und als unterdessen emeritierter Titularprofessor der Theologischen Fakultät Bern ist er ebenso mit der akademischen Seite der kirchlichen Welt vertraut. Diese Kombination machte ihn zum idealen Vermittler zwischen Glaubensalltag und theologischer Reflexion.
Zu Refbejuso kam er über eine Berufung. Als ihm die Kirchenleitung mitteilte, dass sie ihn auf eine Liste mit möglichen Namen gesetzt habe und er der Wunschkandidat sei, «begann es in meinem Kopf zu arbeiten». Er sagte schliesslich zu, und im Frühling 2010 trat er seine neue Stelle als Bereichsleiter Theologie von Refbejuso an.
«Ich merkte schnell, dass meine neue Stelle mit grossen Freiheiten verbunden war», sagt Zeindler. Freiheiten, die es möglichst fruchtbringend für Kirche und Kirchenvolk zu nutzen galt, sei es in diversen Gremien, in denen theologische Expertise gefragt war, sei es bei Anfragen aus Kirchgemeinden oder bei der Erarbeitung von Stellungnahmen zu drängenden Zeitfragen.