Wie kann die Kirche neue Mitglieder gewinnen?
Es bringt nichts, die Kirchenmitglieder in einem sonntäglichen Ritual in der Kirche zu versammeln. Das, was die Kirche als Gemeinschaft gut macht, sollte besser erkennbar sein für neue Mitglieder. Zudem bin ich überzeugt davon, dass sich aufgrund der neuen technischen Möglichkeiten grosse Chancen ergeben. Die Kirche sollte wieder die Berührungspunkte zu einer jungen Gesellschaft finden, die viele Freizeitangebote hat, sehr viel Zeit am Handy und im Internet verbringt, wo neue Communitys entstehen. Die Kirche sollte versuchen, diese digitale Welt für sich zu gewinnen.
Wie würde das konkret aussehen?
Dreh- und Angelpunkte sind interessante Online-Angebote, mit gut aufbereiteten Inhalten auf der Website, die man auch mobil ansehen kann. Zudem sollte man mit den sozialen Kanälen verbunden sein. Youtube und Videos sind heute sehr wichtig. Ein Pfarrer könnte beispielsweise via WhatsApp einen Link zur Kirche Luzern weiterleiten, die sich mit Jugendlichen auf dem Weihnachtsmarkt trifft, danach einen Waldspaziergang macht, mit einer Abendpredigt. Wenn man diese Veranstaltung via WhatsApp verbreitet, erreicht man sehr rasch sehr viele Menschen. Zusätzlich könnte man auf die Veranstaltung im Vorjahr hinweisen, die ein Riesenerfolg war, und ein Video davon auf der Website zeigen.
Um das professionell zu machen, muss man viel Geld in die Hand nehmen – bei gleichzeitig sinkenden Einnahmen der Kirchen.
Eine Online-Strategie sollte mittlerweile Teil einer professionellen Organisation sein. Es gibt zahlreiche finanziell schwächere Organisationen mit viel besserem Online-Auftritt als jenem der Kirche. Das ist auch meine Kritik an der Kirche: Sie erhält sehr viel Unterstützung vom Staat. Dennoch bekommt sie nicht viel PS auf den Boden. Wenn das der Fall ist, muss man halt schauen, welche Leistungen man reduzieren kann, um den Boliden auf den Boden zu bringen.
Digitale Angebote werden von der älteren Generation weniger genutzt. Wie können diese angesprochen werden?
Gerade für ältere Menschen darf der ritualisierte Teil der Kirche nicht aufgegeben werden. Das wäre sehr drastisch, speziell für Leute, die nicht gut mit dem Handy umgehen können, eine Sehschwäche haben oder nicht mehr hören können. Aber umgekehrt gibt es unglaublich viele digitale Angebote, mit denen die Kirche auch in deren Leben stattfinden kann. Das Potenzial ist sehr hoch.
Welche Themen sind Menschen heute wichtig?
Haupttrends in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten sind die Digitalisierung, die Individualisierung und die Urbanisierung. Der Zugang und der Umgang mit der Technologie verändern die Gesellschaft. Die christlichen und menschlichen Grundwerte hingegen ändern sich nicht. Umwelt, Klimawandel, Mikrosolidarität spielen heute eine Rolle, man zeigt sich rasch digital solidarisch, engagiert sich aber nicht dauerhaft für ein gesellschaftspolitisches Thema.
Sollte sich die Kirche zu politischen Themen äussern?
Das ist Aufgabe der Hilfswerke, Caritas und Heks. Äussern sie sich beispielsweise zu einer Konzernverantwortungsinitiative, ist das legitim. Politische Kampagnen sind ein Pfeiler der Tätigkeit von NGOs. Umgekehrt hat die institutionalisierte Kirche eine übergeordnete Rolle. Die Kirche sollte nicht zu jedem politischen Vorstoss eine Meinung abgeben. Bei interessengeleiteten Vorstössen, die stark polarisieren, riskiert die Kirche, einen Teil ihrer Mitglieder zu verlieren. Solche Vorstösse erhöhen einzig die Aufmerksamkeit.
Wie gut ist die Landeskirche Luzern Ihrer Meinung nach für die Zukunft gerüstet?
Ich bin beeindruckt von dem, was in der Reformierten Kirche Luzern schon alles passiert. Das Engagement ist spürbar, ebenso, dass man versucht, kommunikativ erlebbar zu sein. Die Landeskirche ist noch stark kommunal organisiert, was ich persönlich sehr schätze. Dadurch muss man jedoch auch versuchen, jeden Einzelnen zu bewegen. Man muss visionär sein und versuchen, erfolgreiche Beispiele zu schaffen. Das Bewegen von Institutionen ist eine extreme Herausforderung. Ich selbst beteilige mich im Februar zum zweiten Mal an der digitalen Grossgruppenkonferenz der Landeskirche Luzern. Ich bin erstaunt, wie viele Menschen jeweils dazu bewegt werden, mitzumachen.