Der Grossrat und CEO zweier Alterseinrichtungen im Bündner Rheintal nahm kein Blatt vor den Mund: «Eine unsichtbare Kirche ist zum Sterben verurteilt», sagte Urs Hardegger auf der Tagung vor versammelten Sozialdiakonen und Interessierten.
Glaubwürdige Kirche. Als knapp Sechzigjähriger könne er sich noch an die Zeit erinnern, wo aus jeder Familie ein Mitglied am Sonntag im Gottesdienst sass und an Festtagen die Kirchen voll waren. Heute habe kirchliches Leben im Bereich Verkündigung und Kasualien keine grosse Bedeutung mehr. Wolle man daran etwas ändern, dann könnte soziales Engagement die Kirchen wieder sichtbarer machen.
Viele soziale Impulse stammten ursprünglich aus kirchlichen Kreisen. Das reiche von der Unterstützung Bedürftiger, über Heime für Kinder und Ältere, bis hin zur Spitex. Obwohl inzwischen der Staat die meisten dieser Aufgaben übernommen hat, glaubt Hardegger: «In der Diakonie ist die Kirche noch immer glaubwürdig.» Allerdings hätte ihm seine Tätigkeit als Politiker und CEO gezeigt: Die finanziellen Mittel, welche die Kirche heute in soziale Arbeit investiert, könne man «gerade vergessen». Für den Manager ist deshalb klar: «Jedes Unternehmen, das in Schieflage ist, muss umbauen.» Das gilt auch für die Kirche.
Für einen Umbau der Kirche nannte Urs Hardegger vier Leitgedanken. Erstens müsse es eine Gebietsreform geben, damit soziale Arbeit regional organisiert werden könne. Gemeinden seien dafür zu klein. Zweitens müsse diese Arbeit professionell erfolgen und Spezialisierung zulassen. Drittens sei erwünscht, dass Kirchen sich auch öffentlich und politisch zu sozialen Themen äusserten, etwa zur Armut, zur Ethik im Gesundheitswesen oder zur Bewahrung der Schöpfung. Und viertens sollten die Kirchen eine Leistungsvereinbarung mit dem Staat abschliessen, damit der Staat sein soziales Engagement nicht immer weiter reduziere.
Soziale Kirche. In eine ähnliche Richtung plädierte ein weiterer Referent, Grossrat und Treuhänder Livio Zanetti. Es gäbe einen Trend zu neuer Armut. Dazu gehörten der finanzielle Druck auf die Altersvorsorge und die Digitalisierung. Aufgabe der Kirchen könnte der Bau an sozialen Netzen sein, welche die soziale Vereinsamung auffangen würden.
Die Impulse der Referate wurden unter den Tagungsteilnehmenden kontrovers diskutiert. Johannes Kuoni, Präsident des Diakonatskapitels, würdigte die Beiträge der Referenten und Teilnehmenden als Anregung für «grössere oder kleinere reformatorische Schritte im kirchlichen Umfeld».