Verein G2W schafft Brücken

Osteuropa

Seit 50 Jahren berichtet der Verein G2W Ökumenisches Forum über die Menschen und die kirchenpolitischen Entwicklungen in Osteuropa. Seine Dienste sind gefragter denn je.

An der Bündner Pfarrsynode von 1968 hielt der St. Moritzer Gemeindepfarrer Eugen Voss einen bemerkenswerten Vortrag. Darin berichtete der Sohn einer Russin und eines Schweizers über die Not der Christinnen und Christen in Russland, die er bei Besuchen seiner Verwandten antraf. Über die Kirchenschliessungskampagnen, bei denen unzählige Kirchengebäude abgebrochen, Geistliche und Gläubige verfolgt und ermordet wurden, wussten die meisten Menschen im Westen praktisch nichts.Um die Menschen hinter dem Eisernen Vorhang aus ihrer Isolation zu befreien und moralisch zu unterstützen, sei Informationsarbeit dringend nötig, betonte Voss. Sein bewegendes Referat zeigte Wirkung. Im Juni 1968 beauftragten ihn die Synodalen mit dem Aufbau eines «Informationsinstituts» über Religion und Glaube in Osteuropa. Am 10. Juli 1972 gründeten der evan­gelisch-reformierte Kirchenrat des Kantons Graubündens und der römisch-katholische Bischof von Chur den Verein «Glaube in der 2. Welt» (G2W). Sein Ziel: den Dialog zwischen Ost und West zu fördern und für sozial Benachteiligte in Osteuropa einzutreten.

Vernetzt im Ostblock

G2W baute ein riesiges Kontaktnetz mit Menschrechtsvertreterinnen und -vertretern im Ostblock auf. «Informationen von Dissidenten, sogenannte Samisdats, kamen oft auf abenteuerlichen Wegen über die Grenzen», erzählt Stefan Kube, der seit 15 Jahren die von G2W herausgegebene Monatszeitschrift «Religion und Gesellschaft in Ost und West» (RGOW) leitet. Die in der Monatszeitschrift publizierten Informationen sensibilisierten eine breite Öffentlichkeit im Westen. Religionsfreiheit im Osten wurde nun im ökumenischen Dialog und in der Politik verstärkt als Thema wahrgenommen. So berief die Schweizer Regierung Eugen Voss als Experten bei den Verhandlungen der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (heute OSZE) ein. Nach dem Fall der Mauer 1989 weitete sich die Vereinsstrategie aus: Projektarbeit mit Schwerpunkt Russland kam dazu. Denn die Herausforderungen jetzt hiessen neu erwachter Nationalismus und kapitalistisch ausgerichtete Marktwirtschaft. Moralische und finanzielle Unterstützung war nötiger denn je. Derzeit unterstützt G2W in Russland unter anderem  die nicht staatliche Organisation (NGO) «Mit Rat und Tat», die sich für Witwen und deren Kinder einsetzt. Aber auch  für Rehabilitationsprogramme für jugendliche Straftäter und -täterinnen. Das politische Klima sei für unabhängige NGOs schon vor dem russischen Überfall auf die Ukraine repressiver geworden, sagt Kube. Eine der langjährigen Partnerinnen von G2W ist die «Diakonia der Evangelisch-Augsburgischen Kirche in Polen». Mit G2W organisierte sie von 1993 bis 2013 für Hunderte von Kindern, Opfern der Tschernobyl-Katastrophe, Erholung und medizinische Betreuung in Ferienlagern, auch in Graubünden. Als am 24. Februar Russland die Ukraine angriff und Millionen von Menschen nach Polen flüchteten, waren die Kontakte schnell reaktiviert. Diakonia errichtet Informationsstellen, vermittelt Familien zur Unterbringung der Geflüchteten und verteilt Essen und Hygieneartikel. Dies mit der Unterstützung ihrer Kirchenmitglieder und von G2W, das schnell 5000 Franken spendete. «In Krisensituationen sind vertrauenswürdige Partner wie G2W wichtiger denn je», sagt Diakonia-Generaldirekto­rin Wanda Falk.

Wachsende Repression

Seit dem 24. Februar hat G2W die Entwicklungszusammenarbeit mit ukrainischen Partnern intensiviert. Dort unterstützt G2W die «Ukrainian Down-Syndrome Organization». Sie fördert die gesellschaftliche Inklusion von Kindern und Jugend­lichen mit Downsyndrom, berät Eltern und informiert Firmen zur Arbeitsintegration. Angesichts des russischen Angriffskriegs und dessen Auswirkungen auf die ukrainische Bevölkerung sei die Arbeit von G2W heute so nötig wie vor 50 Jahren, sagt Kube. «Dennoch herrscht vielfach Unkenntnis über die politische und religiöse Situation im östlichen Europa.»

Verein G2W feiert Jubiläum in Chur

Mit einer ökumenischen Dankandacht und einem Friedensgebet mit dem Dekan der Bündner Synode Thomas Müller, dem Churer Bischof Joseph Maria Bonnemain, Bischof Andrej Čiler-džić und Schwester Ingrid Grave, einer Ikonenausstellung und einer Podiumsdiskussion lädt der Verein G2W am 10. September ins Comanderzentrum in Chur zum Festakt des 50-Jahre-Jubiläums ein. Vorstandsmitglied und Pfarrer von Fläsch, Jan-Andrea Bernhard, hält einen Vortrag zur Gründungsgeschichte. Am Podium zum Thema «Der Krieg gegen die Ukraine» nehmen Redaktor Stefan Kube und die Historikerin Katharina Kunter teil. Moderation: Eva Maurer, Leiterin Schweizerische Osteuropabibliothek.