Recherche 21. April 2023, von Felix Reich

Bruder Tod dankbar umarmen

Kultur

Der Film «Röbi geht» von Christian Labhart und Heidi Schmid handelt vom Sterben und erzählt vom Leben. Im Zentrum steht Robert Widmer, der sich stets für Mitmenschen engagierte.

Robert Widmer sitzt auf dem Sofa. Einmal sind seine Enkel neben ihm, dann Freunde, sein Sohn, die Ärztin und immer wieder seine Frau Heidi Demuth, manchmal auch nur sein grosser Hund. Widmer erzählt vom Leben und spricht über seinen Tod. Der Krebs frisst seine Lunge auf. Auf Chemotherapie und Bestrahlung verzichtet er, weil sie Beschwerden, hingegen kaum Aussicht auf mehr Lebenszeit bringen.

Angst und Gelassenheit

Meistens redet Widmer mit beinahe heiterer Gelassenheit über den Tod, den er als Bruder anspricht. Es scheint, als ob er die Menschen tröste, die er zurücklassen wird, statt dass der Kranke, der diese Welt verlassen muss, Trost empfängt.

Und trotzdem gibt es sie, die Momente der Angst. Wenn am Morgen der Schmerz alles überdeckt, das Atmen schwerfällt. Oder wenn vor lauter Ermüdung die Lebensgeister erlöschen. «Wenn du gehst, geht auch ein Stück von mir», sagt Heidi Demuth zu ihrem Mann.

Die Poesie des Verschweigens

Regisseur Christian Labhart hat mit «Röbi geht» einen intimen, nie voyeuristischen Film gedreht. Hinter der Kamera stand seine Frau Heidi Schmid. Sie zweifelte zu Beginn an der Idee, die Labhart entwickelte, als er zufällig von Widmers Krankheit erfuhr. Den Schwerkranken auf seinem Weg in den Tod zu begleiten, schien ihr «sensationslüstern und distanzlos», wie sie in den Anmerkungen zum Film schreibt.

Nach einem Besuch bei Robert Widmer daheim in Wetzikon-Robenhausen überwand Schmid ihre Skepsis. Und doch trug vielleicht ihr anfänglicher Widerstand dazu bei, dass ein behutsam mit dem Mut zur Lücke und in starken Bildern erzähltes Porträt entstand.

Im Film eingeflochten wird Material aus dem Privatarchiv der Familie: die Hochzeit, Ferien mit den Kindern, Höhlenerkundungen. Die Bilder bleiben unkommentiert, was dem Film einen poetischen Rhythmus verleiht.

Auch historische Aufnahmen aus den Anfangszeiten von Pfarrer Ernst Siebers Engagement sind zu sehen. Im Winter 1963, als der Zürichsee gefror, holte Sieber Obdachlose von der Strasse und bezog mit ihnen einen Bunker, aus dem später der Sunneboge wurde.

Die zerbrochene Freundschaft

Widmer, der eine Lehre als Chemielaborant absolvierte und nach der Rekrutenschule fünf Monate bedingt wegen Militärdienstverweigerung kassiert hatte, begann 1973 im Obdachlosenheim zu arbeiten. Bis zu seiner Pensionierung 2010 leitete er den Sunneboge.

In der Gemeinschaft mit diesen Männern habe er viel gelernt, sagt er einmal im Film. Und erzählt auf dem Sofa, wie die Freundschaft mit Ernst Sieber zerbrach. «Wir schafften es nicht, die Distanz, die zwischen uns wuchs, zu überwinden.»

Die stumme Versöhnung

Was zum Bruch führte, bleibt offen. Das Verschweigen entspricht Widmers überlegtem, menschenfreundlichem Wesen und dem zurückhaltenden Ton des Films. Hingegen erzählt Widmer, wie er am Sterbebett mit Sieber stumm Frieden schloss. Auf Wunsch der Familie des Pfarrers hielt er Wache, Demuth sang Siebers Lieblingslieder.

Auch hier erhält der Tod etwas Versöhnliches. So wie es Widmer in seinen Gedichten und in den zahlreichen Gesprächen für sich selbst wünscht. Die Versöhnung gilt über den Tod hinaus: Das Jenseits stellt er sich als «Gemeinschaft der Willkommenen» vor. Und fügt für das Leben hinzu: «Wenn die Hoffnung stirbt, sind wir doch alle tot.»

Schön und unerbittlich

Als Refrain dienen dem Film Widmers Spaziergänge durch die geliebte Uferzone am Pfäffikersee, die sich verändernden Jahreszeiten bilden die Schönheit des Lebens ab und das unerbittliche Vergehen der Zeit. Der Gang fällt zusehends schwerer, die Haltung ist gebückt.

«Röbi geht» ist ein berührender und tröstlicher Film, der auch der Trauer ihren Raum lässt. Er handelt vom Tod und erzählt gerade dadurch viel vom Leben.