Sonntags gestaltet Nima Hesabian Kindergottesdienste mit. Montags erteilt er Asylbewerbern Deutschunterricht. Im Sommer ist er Co-Leiter von Sport- und Jugendcamps. «Ich helfe überall, wo ich angefragt werde», sagt der junge Iraner (36) in nahezu perfektem Deutsch.
Die Rapperswiler Freikirche Prisma ist Nima Hesabians Ersatzfamilie. Staunend erinnert er sich an seine ersten Begegnungen mit Gemeindemitgliedern im Jahr 2011, die ihm sogleich einen Job bei der Kinderhüeti übergaben. «Die Eltern haben mir einfach ihre kleinen Kinder abgegeben», erzählt er. «Sie haben mir so rasch vertraut.»
Heute wohnt Hesabian im Haus eines Jugendarbeiters der Gemeinde; seine eigene Wohnung verlor er Ende 2015, ebenso seinen Job als Pizza-Kurier. Das Problem: Hesabian besitzt keine gültigen Schweizer Aufenthaltspapiere mehr. Das Asylgesuch des Iraners wurde 2015 letztinstanzlich abgelehnt. Das Bundesverwaltungsgericht bezweifelte, dass sein Leben im Iran nach der Teilnahme an Protesten gegen das Regime in Gefahr sei.
Auch bekundete es «Zweifel an der Ernsthaftigkeit und Nachhaltigkeit» seiner Konversion zum Christentum, die er mit der Taufe in der Persischen Gemeinde Zürich 2011 vollzogen und nachträglich als Asylgrund vorgebracht hatte. Eine «besonders aktive (…), namentlich missionarische Glaubensausübung» sei nicht ersichtlich, schrieb das Gericht. Es bestätigte den Asylentscheid des Staatssekretariats für Migration (SEM), das festgestellt hatte, dass Hesbaian aufgrund seines christlichen Glaubens im Iran keine Verfolgung zu befürchten hätte.
Das Gericht mahnte. Amara Ghazali (Name geändert) hat keine Ausschaffung mehr zu befürchten: Nächstens soll die 50-jährige Iranerin sogar eine unbeschränkte Niederlassungbewilligung für die Schweiz erhalten. Eine Odyssee über Griechenland, Norwegen und Belgien und ein zähes juristisches Ringen liegen hinter ihr. Der Fall der Konvertitin führte 2012 bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.
Die Strassburger Richterin forderte in ihrem Urteil die Schweiz auf, die bereits verfügte Ausweisung von Ghazali zu stoppen: Sie fragte die Schweiz mahnend an, ob sie «die iranische Gesetzgebung, die schwere Strafen für religiöse Konvertiten vorsieht, genügend berücksichtigt» hätte. Diese müssten im Iran befürchten, «eine schlechte Behandlung zu erfahren, (…) ja sogar hingerichtet zu werden». Die Schweiz parierte die Fragen rasch – und gestand Ghazali doch noch den Flüchtlingsstatus zu.
Insbesondere auf Muslime aus dem Iran übt das Christentum oft eine exotische Faszination aus (vgl. Infotext unten). «Bei uns ist der Islam Gesetz», sagt Hesabian. Das Christentum stehe demgegenüber für eine Freiheit, die ihn immer stärker angezogen hätte.
Ghazali, vormals laut eigenen Angaben eine «fanatische Muslima», besuchte vor fast zwanzig Jahren erstmals eine Untergrundkirche im Iran. «Bis dahin war Gott für mich immer weit weg. Im Christentum erfuhr ich die Liebe Gottes, die in Jesus ganz nah war. Es war, als ob ein Vorhang weggeschoben worden wäre.» Ghazali liess sich 2003 in Griechenland taufen. Heute besucht sie die Gottesdienste der charismatischen Christ International Church (CIC) in Baden.
Religiöse Erweckungserlebnisse sind dem neutralen Staat fremd. In Bekehrungen zum Christentum erkennt das SEM rasch die «Missbrauchsgefahr» (Staatssekretär Mario Gattiker). Konvertiten, so lautet der Verdacht, würden auf diese Weise Nachfluchtgründe konstruieren. Gerade Iranern attestieren Kenner des Landes inoffiziell durchaus eine gewisse Schlauheit bei der Suche nach Asylgründen. Gleichwohl muss das SEM dem Asylgesetz gerecht werden, das Flüchtlingen ausdrücklich auch Schutz vor religiöser Verfolgung gewährt.
So umkreisen die Migrationsbehörden die sperrige «innere Tatsache» des Glaubens, deren wahre Bedeutung im Leben eines Individuums «naturgemäss nicht eruiert werden» könne (negativer Asylentscheid im Fall Hesabian). Als verlässliches Kriterium gilt dem SEM eine besonders engagierte missionarische Tätigkeit von Flüchtlingen. Diese sei es, die insbesondere im Iran eine besondere Verfolgungsgefahr nach sich ziehe.
«Willkür». Paradoxerweise honoriert der Bund damit religiöse «Leistungen», denen er ansonsten skeptisch begegnet. Amara Ghazali jedenfalls dürfte nachträglich zupass gekommen sein, dass sie vor allem im Internet ausgesprochen eifrig für die christliche Sache weibelt: Sie ist Administratorin verschiedener persisch-christlicher Chat-Seiten, in denen iranische Neo-Christen Glaubensfragen verhandeln.
Auch Nima Hesabian weiss, was die Bundesbehörden von ihm erwarten: «Ich erzähle allen, dass ich ins Prisma gehe, wie toll es hier ist und dass sie auch kommen sollen», berichtet er pflichtbewusst. Zugleich relativiert er: «Nicht jeder ist ein geborener Prediger.» Und was empfindet Hesabian, wenn der christliche Glaube von Landsleuten als glaubwürdiger taxiert wird als sein eigener? «Ich spüre keinen Neid. Ich bin einfach enttäuscht», sagt er. «Ich glaube, einige tun genau das, was das SEM von ihnen erwartet.»
Hesabians Fürsprecher in der Freikirche können die Haltung des SEM kaum fassen. Prisma-Pastor René Christen beklagt eine «politische Willkür», die die Dramatik der Geschichte Hesabians völlig übersehe. Er sei mit dem Evangelium offensichtlich aufgeblüht, habe hier Annahme erfahren – und gelernt zu vergeben. «Nima hatte viel Hass im Herzen, das konnte er in vielen Gesprächen loslassen», erzählt Christen.
Er kann nicht verstehen, dass das SEM ihn im Laufe des Asylprozesses nie zu einer Anhörung vorgeladen hat. Seine Gemeinde wäre, ist der Pastor überzeugt, eine glaubwürdige Auskunftsstelle zur Frage, ob jemand Christ geworden sei. Konversionsprozesse würden zwar nicht standardisiert durchgeführt, doch man sei nicht naiv. Bestimmt würde man sich nicht in jedem Fall mit so vielen Empfehlungsschreiben für jemanden einsetzen wie jetzt im Fall Hesabians. «Dass wir nicht gehört werden, liegt wohl daran, dass wir eine Freikirche sind», vermutet Christen.
Mit Sorgfalt. Standardisierte Tests, die einer Taufe vorausgehen, kennen auch die Landeskirchen nicht. Wie ernst es jemand mit dem Christentum meint, sei eine Sache des Vertrauens zwischen Konvertit und Pfarrperson, sagt Esther Straub, Pfarrerin und Kirchenrätin in Zürich. Ihr sind aus der Gefängnisseelsorge ein paar Konversionsfälle bekannt.
«Der Prozess einer Taufvorbereitung sollte aber sorgfältig gestaltet sein», meint Straub, «so kann die Ernsthaftigkeit der Konversion auch transparent gemacht werden.» Die Bundesbehörden seien auf jeden Fall eingeladen, Kirchenvertreter zu ihrer Meinung zu befragen, ihres Wissens seien reformierte Pfarrpersonen in einem Asylprozess aber noch nie konsultiert worden.
Machen die Migrationsbehörden also einen Bogen um die Kirchen? Das SEM bestreitet dies: Jeder Asylgesuchsteller könne sich in den Anhörungen von einer Person seiner Wahl begleiten lassen, schreibt die Pressestelle. «Diese Person darf selbstverständlich auch ein Pfarrer sein.»
Amara Ghazali arbeitet heute als Hauswartin bei einer Schweizer Agglomerationsgemeinde, hat eine eigene Mietwohnung und betet dafür, dass sich die Menschen im Iran oder in Syrien «zum Gott des Lebens» bekehren.
Nima Hesabian, der weiterhin in der Freikirche Prisma verkehrt, lebt wie auf Nadeln. Er muss jederzeit befürchten, in Ausschaffungshaft genommen zu werden. Seine Zukunft ist ungewiss – sicher ist für ihn nur eines: «In den Iran werde ich nicht zurückkehren.»