Nur gemeinsam sind sie stark

Bienen

Ohne Bienen kann Olga Cadosch nicht leben. "reformiert." besuchte sie in ihrem Bienenhaus in Trin.

«Meine Bienen gehören nicht zur sanftmütigen Rasse», sagt Olga Cadosch und lacht. Sie ist auf dem Weg zum Bienenhaus. Unterm Arm trägt sie einen Kunststoffkasten, auf dem Kopf einen Schleierhut, ausnahmsweise. Denn ihre Bienen sind heute nervös. Das verrät der ungewohnt hohe Summton. «Sie spüren das nahende Gewitter.» Regentropfen können eine Biene erschlagen, Sturmböen rauben ihr die Orientierung. Als Fremdling in einem falschen Stock gelandet, würde sie innert Sekunden totgestochen.

Harmonie. «Meine Grosseltern haben mir vieles beigebracht», erzählt Cadosch und öffnet die Türe des Bienenwagens. Wie die Jungfrau zum Kind seien sie zum Imkern gekommen. Als eines Tages ein Bienenschwarm in ihrem Bongert hing, auf den trotz Nachfragen niemand Anspruch erhob, fingen sie ihn ein. «Nach ein paar Wochen ernteten sie den ersten Honig.» In Graubünden war das Imkerhandwerk weit verbreitet, vor allem unter Pfarrern, die damit oft mehr verdienten als mit ihrem Amt. Theologen waren bekannte Bienenforscher und Initianten lokaler Bienenvereine. Die Biene, das Symbol für Fleiss, Ordnung und Gemeinschaft, zierte manchen Eingang von Bündner Schulhäusern.

Für die Religionslehrerin ist die Biene aber mehr. «Sie ist der Inbegriff der Harmonie. Von ihrer Umsicht, ihrem Zusammenhalt können wir Menschen lernen.» Wenn sich im Frühling die Bienen aus ihrer Wintertraube lösen, um von neuem mit der Arbeit zu beginnen, hat das für sie auch mit Auferstehung zu tun. «Der Lebenskreislauf der Bienen offenbart mir die Grossartigkeit der Schöpfung am eindrücklichsten.»

«Kommt näher», winkt Olga Cadosch. Sie zieht Handschuhe über ihre von Bienenstichen leicht geschwollen Hand­rücken. Vorsichtig hebt sie den Deckel des mitgebrachten Kastens. Mit ruhiger Hand trägt sie ihn in den Bienenwagen. Ein ganzer Bienenschwarm klebt daran. Kräftig schlägt sie auf den Deckel, worauf die Bienen in den Einlauftrichter fallen und sofort in den für sie bereitgestellten Kasten, ihr neues Zuhause, marschieren. Eines ihrer rund zwanzig Völker sei ausgeschwärmt, erklärt Cadosch. Auf einem Baum im Garten fing sie es wieder ein.

Chaos. «Da ist sie», Olga Cadosch zeigt in die wuselnde Insektenschar. Eines der Tierchen fällt auf. Es ist grösser als alle anderen, auf ihrem Rücken leuchtet ein türkisgrüner Punkt und irgendwie scheint es über dem Chaos zu schweben: die Königin. «Bienen leben in Staaten», erklärt Olga Cadosch, «sie existieren nur in der Gemeinschaft, allein wären sie nicht überlebensfähig.» Ein System perfekter Arbeitsteilung lässt sie innert eines Jahres Völker mit rund 50 000 Bienen errichten: Die Männchen dienen nur der Begattung der Königin, danach sterben sie. Die Königin legt Eier in die für sie vorbereiteten Waben. Darin lagern Nektar und Pollen für die Aufzucht der Jungbienen, wofür die Arbeiterbienen zuständig sind. Den Überschuss an Nektar dickt die Biene ein, was der Imker dann als Honig nutzt. Für ein Kilo Honig muss eine Biene etwa drei Millionen Blüten aufsuchen. Das werde immer schwieriger. Olga Cadosch zeigt auf den kleinen Flecken Blumenwiese neben dem Bienenwagen. Das sei alles, was nach dem Mähen zurückbleibe. «Die Landwirtschaft hat sich weltweit zuungunsten der Bienen gewandelt. Grüne Wüsten sind keine Lebensgrundlage.»

Zu schaffen macht ihnen auch die aus Asien eingeschleppte Varroamilbe. «Unsere Bienen kennen keine Abwehr dagegen. Seit den Achtzigerjahren kämpfen wir gegen den Schädling», sagt Olga Cadosch. Zum Beispiel mit der «Bienensauna». Das Prinzip ist einfach: die Bienenbrutwaben kommen in einen Kasten, dessen Temperatur langsam erhöht wird und die wärmeempfindliche Varroamilbe tötet. Zwei Stunden ­dauert die Prozedur. Zu aufwendig für die meisten Imker, bedauert Cadosch. Sie ist überzeugt: «Danach sind sie widerstandsfähiger und es gibt Honig von unverfälschter Qualität.»

Olga Cadosch zieht den Schleierhut vom Kopf, wischt sich den Schweiss von der Stirn und schliesst für einen Moment die Augen. «Beim Summen der Bienen, da werde ich ruhig und fühle mich Gott ganz nah.» Die Biene sei ein kleiner Dinosaurier. Seit Jahrmillionen existiere sie und werde dank ihrer Klugheit wohl den Menschen überleben. «Wir Imker helfen ihr ein wenig dabei.»

Olga Cadosch, 53

Die ausgebildete Primar- und Religionslehrerin lebt mit ihrer Familie in Trin Mulin und arbeitet an der Primarschule Chur als Religionslehrerin. Als Leiterin des Resorts Honig im Verein Deutschschweizerischer und Rätoromanischer Bienenfreunde (VDRB) verleiht sie Imkereien, welche sich an das VDRB-Qualitätsprogramm halten, das goldene Gütesiegel. Sie präsidiert den Verein Varroa Hyperthermie Schweiz, dessen Ziel es ist, die Hyperthermie (Bienensauna) zur Bekämpfung der Varroamilbe in der Schweiz zu verbreiten. Die meisten Imker verwenden organische Säuren gegen den Schädling. Verpönt ist das Füttern von chemisch-synthetischen Mitteln.