Plädoyers für eine tolerante Gesellschaft

Roman

Anja Siouda schrieb eine Trilogie über das Aufeinanderprallen von Kulturen. Vieles in den Büchern wurzelt in ihrem Leben.

Als Anja Suter mit 19 Jahren ihrer Mutter sagte, dass sie ihren Freund aus Algerien heiraten wolle, strahlte die Mutter: «Wirklich?» Der Vater nahm es nickend zur Kenntnis, die beste Freundin sagte lachend, sie spinne, so früh zu heiraten. Dass die Gymnasiastin aus Luzern einen Muslim heiraten wollte, war hingegen kein Thema. Auch nicht, dass Anja zum Islam konvertieren würde. Ihre Eltern hatten sie im Jahr zuvor alleine nach Algerien reisen lassen, damit sie der Familie des jungen Mannes, den sie durch eine Brieffreundschaft kennengelernt hatte, begegnete. Ihre Mutter, ­eine Katechetin, fand es wichtig, dass Anja offen für andere Kulturen war.
«Heute, da sich die religiösen Fronten verhärtet haben, wäre die Freude vielleicht nicht mehr auf allen Seiten da», überlegt die grosse Frau mit Surbtaler Wurzeln, die mit 19 den aargauischen Nachnamen Suter gegen Siouda tauschte, 31 Jahre später. Sie ist aus ihrem Wohnort in Frankreich angereist und sitzt im Café des Kunstmu­seums Luzern. Am Abend geht sie an ein Klassentreffen. Dort wird sie jenen begegnen, die damals dem frisch gebackenen Brautpaar nach alter Tradition ein quicklebendiges Schwein geschenkt hatten – was für ihren Mann ein Schock war, gilt das Schwein im Islam doch als unrein. «Zum Glück waren meine Schwiegereltern nicht da», sagt ­Siouda lachend.
Im Rausch geschrieben
Ihre vielen Erfahrungen mit Wertvorstellungen und der Toleranz, die es braucht, um Differenzen zu überwinden, hat Siouda in drei Romane gewoben. Der erste, «Steine auf dem Weg zum Pass», erschien 2010. Es ist die Geschichte dreier Bauernbrüder auf dem Brünig, von denen sich einer, Martin, in die muslimische Marokkanerin Halima verliebt, die er durch ein Partnerinserat kennengelernt hat. Die Liebe endet in einem Drama. Das zweite Buch «Ein arabischer Sommer» dreht die Situation dann um: Die Schweizer Übersetzerin Elena, die im ersten Roman Halimas Tagebuchnotizen nach der Versteigerung der Alp findet und übersetzt, kommt auf dem Brünig mit drei Maghrebinern in Kontakt. Einer von ihnen ist Halimas Bruder, ein anderer ist homosexuell. Im dritten Roman «Berührte Blüten» fliegen die Übersetzerin Elena und der Tunesier Qais frisch verheiratet 2013 nach Tunis, zusammen mit dem Algerier Sabri, wo sie eine Sprachschule gründen wollen.
Alle drei Bücher handeln vom Aufeinanderprallen von Werten, von Rollenerwartungen und von sexueller Selbstbestimmung. Und auch von der Frage, wie man dem anderen begegnen kann, ohne ihm die eigenen Wertvorstellungen über­stülpen zu wollen – alles hochaktuelle Themen. Anja Siouda sagt, sie habe die Bücher in einem Rausch geschrieben, das erste 2007 zu Hause in Frankreich, während ihr Mann mit den Söhnen in Algerien in den Ferien war. «Ich sah alles genau vor mir.» Es sei Fiktion, doch die Orte des Geschehens und die Themen wurzeln in ihrer Biografie.
Zu frei für Dogmen
Dazu gehören die verwirrenden Ge­fühle, die die Konversion damals bei Anja Siouda auslösten. Sie sagt: «Als wir realisierten, dass die Heirat für meinen Mann einfacher ist, wenn ich Muslima bin, tat ich das ohne Bedenken.» Für sie sei der Glaube an Gott nicht an eine Religion gebunden. «Ich dachte damals, dass es egal ist, mit welchen Riten man ihn verehrt.» Doch als sie nach islamischer Art das Gebet verrichtete und die Regeln des Ramadan beherzigte, spürte sie inneren Widerstand. «Ich bin zu frei erzogen worden, um mich an Dogmen zu orientieren.» Doch durch die Konversion und ihr Arabistik-Studium habe sie sich erst richtig mit dem Glauben auseinandergesetzt. Und ihre grosse Leidenschaft fürs Schreiben von Büchern entdeckt.
Einen religiösen Mittelweg zu finden hat ihre Ehe über all die Jahre gefordert. «Da wir uns in allen anderen Dingen verstanden, wurde es zu keinem grossen Hindernis.» Mehr gegenseitiges Verständnis, das ist ihr grosser Wunsch für die Gesellschaft.

Anja Siouda: Neuerscheinung als Trilogie
– Steine auf dem Weg zum Pass. BoD, 2018, 340 Seiten, 12.90 Euro
– Ein arabischer Sommer. BoD, 2018, 388 Seiten. 14.90 Euro
– Berührte Blüten. BoD, 2018, 508 Seiten, 19.90 Euro