Von Politik, Kunst und wilden Jungen

Film

Bernhard Giger blickt zurück auf Berns Kunstszene. Mit seinem ruhigen Film erzählt er auch von heute – und ein wenig von sich selbst.

Es ist, als ob er seine Schätze teilen würde, wenn Bernhard Giger im Filmessay «Berner Blühen» zurückblickt auf die drei Jahrzehnte von 1950 bis 1980. Er nimmt das Publikum mit in Ateliers, düstere Altstadtkeller, überstellte Lagerräume sowie ins Künstlerhaus an der Postgasse. Er unterhält sich mit Kunstschaffenden, Galeristen, Szenegängerinnen, Kulturkennern. Rückt die Menschen und ihre Geschichten in den Fokus, ihre Erinnerungen an eine Zeit, in der die Berner Kunstszene kraftvoll aufblühte.

Damals, als man auch in New York über Ausstellungen in der Berner Kunsthalle sprach. Als der Künstler Franz Gertsch seine ersten monumentalen Bilder malte und die Textilkünstlerin Marianne Vögeli und ihr Mann, der Maler und Plastiker «Pips», in der Postgasse wirkten. Und als der junge Bernhard Giger das Leben in der Kunstszene in sich aufsog, fotografierte und erste eigene Filme machte.

Kunst und Alltag

«Das war wohl die profilierteste kulturelle Phase Berns im 20. Jahrhundert», sagt der Regisseur. «Für mich aber kein Grund, die Zeit zu verklären.» Er lässt die Protagonistinnen von ihrem Alltag erzählen, von Festessen nach einem Bilderverkauf, von langen Nächten mit viel Alkohol, von leeren Portemonnaies und Lebenskrisen.

Ein Stück weit begegne ich in dem Film auch meiner eigenen Biografie.
Bernhard Giger, Regisseur, Journalist

Da sind keine nostalgischen Schwärmereien, die den Blick auf das Wesentliche verstellen: die Aufbruchstimmung, die Visionen, die Lust, zu kreieren und zu provozieren.

Neugierig, fast schon liebevoll hört Giger hinter der Kamera den einstigen Weggefährten zu, will wissen, wie sie die legendäre Zeit erlebt haben. Er lässt Pausen stehen, Bilder wirken, Werke sprechen. «Ein Stück weit begegne ich in dem Film auch meiner eigenen Biografie», meint der Filmemacher.

Er war 17, als er 1969 als Fotografenlehrling zum ersten Mal in der angesagten Aktionsgalerie Aufnahmen machen konnte. Bald wurde er Teil der Szene, traf Menschen, die politisch ausdrücklich links standen, Künstlerinnen und Künstler, die dem «Mief des bürgerlichen Establishments» etwas entgegensetzen wollten. «In dieser Zeit eröffneten sich mir Welten», erinnert sich Giger. Manchmal sei er, aus gutbürgerlichem Haus stammend, auch etwas überfordert gewesen. «Aber die Zeit prägte mich. Mit vielen von damals bin ich bis heute verbunden.»

Freisinnig und kunstliebend

Aufgewachsen ist Bernhard Giger in einem «urfreisinnigen» Elternhaus: Der Vater amtete als FDP-Parteipräsident, und die Schwester Theres Giger wurde in den 1990ern freisinnige Gemeinderätin. Gegen diese Art zu denken und zu politisieren rebellierte der junge Bernhard. «Ich habe mit meinem Vater heftige Kämpfe ausgetragen, und doch ist er in entscheidenden Momenten zu mir gestanden.»

Mein Vater war ein Vertreter der Macht schlechthin, einer von denen, die wir im Visier hatten.
Bernhard Giger, Fotograf und Filmemacher

So sei er mit 17 beinahe aus der Lehre geflogen, weil man ihn beim Kaufen von Haschisch ertappt habe. Sein Lehrmeister habe ihn zwar ermahnt, schliesslich aber doch eingelenkt. Und der Vater? Giger lacht: «Der hat ein Buch über Marihuana gelesen und – wohl nicht ganz ernst gemeint – gesagt, vielleicht sollte er es selber einmal probieren.» Gesellschaftspolitisch sei sein Vater durchaus offen gewesen, wirtschaftspolitisch aber erzkonservativ. «Er war ein Vertreter der Macht schlechthin, einer von denen, die wir im Visier hatten.»

Daneben spielte in der Familie Giger auch die Kultur eine Rolle. Mit der Mutter besuchte Bernhard Ausstellungen und während Italienferien mit den Eltern Kirchen und Kapellen. «Die Mutter, eine Reformierte, liess keinen Altar und keine Heiligenfigur aus», meint Giger lachend. Sie brachte ihm auch das Kino näher, erzählte ihm von Filmen, die sie gesehen hatte. «Die habe ich mir dann heimlich angeschaut», gesteht er, Werke mit hohem Anspruch, die er kaum verstand. «Aber von da an wusste ich: Das gefällt mir. Das will ich auch machen.» 

Bernhard Gigers filmisches Schaffen erstreckt sich über 40 Jahre. Eine Auswahl: Winterstadt (Kinofilm, 1981); 
Der Gemeindepräsident (Kinofilm, 1984); Der Pendler (Kinofilm, 1986); Kampf ums Glück (Fernsehfilm, SF DRS, 1987); Tage des Zweifels (Kinofilm, 1991); 
Tatort: Gehirnwäsche (TV, 1993); 
Tatort: Time-out (TV, 2001); Oeschenen (Fernsehfilm, SRF, 2004); Fixerorte, 
20 Jahre Drogenanlaufstelle Bern (Dok-film, 2006); Herz im Emmental (Dokfilm, 2012).

Und er machte es. Neben seinem Job im Berner Kellerkino schrieb er Filmkritiken, wurde Medienredaktor beim «Bund», und er realisierte Filme. Manchmal mit nur sehr wenig Geld und manchmal mit respektablem Budget und prominentem Personal: Bruno Ganz, Anne-Marie Blanc und Mathias Gnädinger. Auch für den Krimiklassiker «Tatort» drehte er zwei Folgen.

Geschichten interessierten Bernhard Giger immer schon. Und Menschen, wie sie die Welt empfinden und ihr Leben leben. Das trieb ihn auch als Journalist an: beim «Bund» und der «Berner Zeitung», als «BZ-Talk»-Moderator und zum Schluss dann auch als Leiter des Kornhausforums in Bern.

Zweifler und Verzweifelter

Jetzt, im Ruhestand, präsentiert er einen ruhigen Film aus unruhiger Zeit. Einen, der ein zahlreiches Publikum anzieht. Und neuerdings organisiert Bernhard Giger spannende Personen für die Osterreihe «Spurensuche» in der Christkatholischen Kirche St. Peter und Paul in Bern. Seit seiner Kindheit ist er mit dieser Kirche verbunden.

Aber religiös sei er nicht, erklärt er. Vielmehr ein Zweifler. Vor allem, seit er sein zweites Kind durch plötzlichen Kindstod verloren hat. «Immer und immer wieder fragte ich mich damals, warum das Kind sterben musste.» Und er erinnert sich an de schier unendliche Verzweiflung über diesen Verlust.

Jetzt im Kino: Berner Blühen – Die Kunststadt 1950–1980. CH, 2023, 95 Minuten, www.bernerbluehen.ch

Heute geht er mit seinem längst erwachsenen ersten Sohn regelmässig ins Fussballstadion. YB ist die Mannschaft der beiden, das Wankdorfstadion ein Stück Heimat. «Das verbindet uns», sagt er. «Und Fussball ist, anders als so vieles andere auf dieser Welt, erfrischend eindeutig. Das ist doch entspannend.»