Recherche 05. Mai 2022, von Anouk Holthuizen

Begleiterinnen auf der schwierigsten Wegstrecke

Abschied

Eva-Maria Finkam ist auf Bestattungen von Kindern spezialisiert. Eine wichtige Partnerin in ihrer Arbeit ist Regula Buder, die für die Kinderspitex Nordwestschweiz tätig ist.

Das blaue Wohnhaus mitten in Attiswil strahlt Wärme und Sorgfalt aus, doch beim genauen Hinschauen wird einem klamm ums Herz: Das dunkelblaue Auto mit goldenen Lettern auf dem Parkplatz ist ein Bestattungswagen. Und blickt man durch die beiden Türen im hellen Anbau, befindet sich hinter der linken ein Lager mit Sargkörbchen und Särgen in verschiedenen Grössen und hinter der rechten ein liebevoll eingerichteter Raum mit einer Bank, Steinengeln und einem Regal mit Pinseln und Farben.  

Es ist das Abschiedszimmer von Sternlicht Bestattungen. Da auf der Bank sitzen immer wieder Eltern, oft auch die Geschwister, von einem Kind, das kurz zuvor verstorben ist. Hier versuchen sie, den nächsten schweren Schritt vorzubereiten: in einem passenden Rahmen ihr Kind auf die letzte Reise zu schicken. 

Eine Rolle gegen die Angst 
Zur Seite steht ihnen dabei Eva-Maria Finkam. Die 44-Jährige spezialisierte sich 2016 auf die Beisetzung von Kindern, nachdem sie einige Jahre als konventionelle Bestatterin tätig gewesen war und in dieser Zeit realisierte, dass junge Trauerfamilien eine engere Begleitung benötigen sowie viel Raum, um ihre ganz eigene Form des Abschiednehmens zu entwickeln. Im Besprechungszimmer zwischen den bunten Urnen sagt Finkam: «Bestattungsinstitute organisieren den Ablauf zwischen Tod und Beisetzung zumeist pragmatisch. Der gängige Prozess wird Familien mit einem verstorbenen Kind aber nicht gerecht.»  

Finkam erörtert mit den Betroffenen jeweils ausführlich die Bedürfnisse, besonders auch jene der Geschwister, die ihrer Meinung nach oft zu kurz kommen. Kürzlich begleitete sie eine Familie, wo der Bruder des verstorbenen Kindes Angst vor dem Friedhof äusserte. «Im Gespräch erzählte er mir, dass er Feuer mag. So stellten wir am Tag der Beerdigung auf dem Friedhof eine Feuerschale hin, und er überreichte jedem Gast eine Fackel. Diese Rolle nahm ihm die Angst.» 

Zwei Buben ermöglichte sie, ihren Wunsch zu realisieren: Die Brüder wollten dem verstorbenen Baby vor der Bestattung unbedingt noch das Dorf zeigen. «Sie zogen, begleitet von ihrer Familie, den rosa Sarg auf dem Leiterwagen durch die Strassen zum Friedhof.» Die Einbindung aller Beteiligten auf eine Art, die jedem einzelnen entspreche, sei enorm wichtig für den Trauerprozess, sagt Finkam. Väter und Grossväter etwa würden oft selbst das Grab zuschaufeln wollen.

Manchmal findet der erste Kontakt zwischen Finkam und der Familie schon statt, wenn das kranke Kind noch lebt. «Kinder sprechen zumeist viel offener über den Tod als ihre Eltern», so Finkam. «Sie haben das Bedürfnis, den letzten Weg mitzugestalten.» Manche Eltern jedoch wollten nichts von ihr wissen, so lange das Kind lebe. «Sie assoziieren den Begriff Bestatterin mit dem Tod, doch den können sie noch nicht zulassen», sagt Finkam. 

Trotz allem darüber reden 
Die schwierige Aufgabe, im richtigen Moment den Kontakt zur Bestatterin zu vermitteln, übernimmt häufig Regula Buder. Bei der Kinderspitex Nordwestschweiz ist sie auf Palliative Care spezialisiert: Sie begleitet Familien mit schwer kranken Kindern, zuweilen bis zum Tod.Buder sagt: «Wir versuchen Eltern zu befähigen, den schweren Weg zu gehen. Dazu gehört, sich mit dem Sterben auseinanderzusetzen.» Buder schöpft dabei aus der eigenen Erfahrung. Als ihre Tochter vor Jahren schwer erkrankte, ertrug sie es nicht, wenn jemand um den heissen Brei herumredete.  

Spürt Buder bei Eltern die Bereitschaft, über das Sterben zu reden, schlägt sie ein Treffen mit Finkam vor. Lehnen sie ab, informiert Buder die Bestatterin dennoch übereinen möglichen Verlauf. «Plötzlich kann es schnell gehen. Ist Eva-Maria dann bereits parat, hilft das sehr.» Für  die Kinderspitex Nordwestschweiz ist Sternlicht Bestattungen eine wichtige Partnerin und die einzige dieser Art in der Deutschschweiz. «Wenn ein Bestattungsinstitut nur seinen Job erledigt, kann das sehr abrupt wirken. Bei ihr sind wir mit Sicherheit an der richtigen Stelle.» 

Ehrenvolle Arbeit
Beide Frauen sagen, Menschen in diesen Momenten beistehen zu dürfen, sei für sie eine Ehre. Eva-Maria Finkam: «In dieser Phase kann sehr viel Kostbares ermöglicht werden. Spürt eine Familie, dass sie ihr Kind auch auf diesem Wegstück begleiten kann, schenkt dies anhaltenden Trost.»