Recherche 30. November 2022, von Katharina Kilchenmann

Podium: Die Rolle der Kirchen in Zeiten des Krieges

Ukraine

Der Krieg in der Ukraine setzt auch die Kirchen unter Druck. Fachleute machten in einer Podiumsdiskussion klar: Die Kirchen sind zwar Teil des Konflikts, aber auch der Lösung.

«Euer Schmerz ist mein Schmerz», schrieb Papst Franziskus in einem emotionalen Brief an die ukrainische Bevölkerung. Starke Worte. Doch sie kamen spät, erst Ende November, also rund neun Monate nach Beginn der russischen Invasion. Viel zu spät, findet der Journalist Stefan Kube.

Er beurteilt die Reaktionen der Kirchen auf den Krieg in der Ukraine generell als zu zögerlich und kritisiert sowohl die Ostpolitik des Ökumenischen Rats der Kirchen (ÖRK) als auch die des Vatikans. Er nennt ein Beispiel: Nach einem virtuellen Treffen von Vertretern des Vatikans und des russisch-orthodoxen Patriarchats kurz nach Kriegsbeginn sei es den Russen gelungen, in einer raschen und ausführlichen Presserklärung das Treffen als erfolgreichen Dialog darzustellen. Die andere Seite habe lediglich ein «dürres» Kommuniqué veröffentlicht. «Wenn der Papst schweigt und sich erst zwei Monate nach dem Austausch klar vom russischen Patriarchen distanziert, ist die Wirkung nur noch sehr gering», meint Kube.

Polit-Forum Bern

Das Polit-Forum Bern ist ein Veranstaltungsort. Die Verantwortlichen organisieren in den Räumlichkeiten des Käfigturms eigene Veranstaltungen und Ausstellungen zu politischen Themen und stellen diese zur Diskussion.

Stefan Kube ist Leiter des Instituts G2W und Chefredaktor der Zeitschrift «Religion und Gesellschaft in Ost und West». Er nimmt als einer der drei Gäste auf dem Podium teil, das die Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz (EKS) im «Polit-Forum» in Bern organisiert hat. Daneben diskutieren auch Natallia Vasilevich, belarussische Politikwissenschaftlerin, Juristin und orthodoxe Theologin und der serbisch-orthodoxe Bischof Andrej Ćilerdžić die Frage zur Rolle der Kirchen im Ukrainekrieg.  

In der Logik des russischen Patriarchats handelt es sich um einen Befreiungskrieg, der nicht nur erlaubt ist, sondern gesegnet.
Natallia Vasilewich, Politikwissenschaftlerin, Theologin aus Belarus

Das Podium will die religiöse Dimension im Konflikt zwischen Russland und der Ukraine ins Zentrum stellen, was sonst in der medialen Berichterstattung oft zu kurz komme. Dabei rechtfertigten Patriarch Kyrill, das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche und Präsident Putin die Invasion auch durch die Notwendigkeit, die gläubigen Orthodoxen in der Ukraine zu verteidigen.

Gerechter Krieg für einen gerechten Frieden

«Kyrills Rhetorik ist schlau», sagt Natallia Vasilewich, Politikwissenschaftlerin aus Belarus. Mit dem Konzept des «gerechten Friedens» unterstütze er Putins Krieg nicht direkt, sondern legitimiere ihn indirekt als Instrument des Friedens. «In der Logik des russischen Patriarchats handelt es sich um einen Befreiungskrieg, der nicht nur erlaubt ist, sondern gesegnet», bringt es Vasilewich auf den Punkt. 

Der Krieg in der Ukraine verschärft nicht nur die innerorthodoxen Konflikte, sie stellt auch die ökumenische Bewegung auf die Probe. Andrej Ćilerdžić, der serbisch-othodoxe Bischof, betont die Wichtigkeit der ökumenischen Kraft in Zeiten des Krieges. Und er kennt den Druck, unter dem die orthodoxen Theologen weltweit stehen.

Es ist besser hundert Jahre Gespräche, als ein Jahr Krieg zu führen.
Porfirije Peric, Patriarch der serbisch-orthodoxen Kirche

Trotzdem hätten er und viele andere Orthodoxe in den letzten Monaten Haltung gezeigt. «Unzählige orthodoxe Theologen haben klar Stellung bezogen gegen die pseudo-religiöse Rechtfertigung des mörderischen Überfalls auf die Ukraine», sagt er.


Doch die Kirche müsse vorsichtig sein, fährt Bischof Ćilerdžić fort, und dürfe keinesfalls etwas Falsches sagen, sonst laufe sie Gefahr, Teil des Konflikts zu werden. «Die Aufgabe der Kirche ist es, Raum für Frieden und Dialog zu schaffen.» So, wie es der serbisch-orthodoxe Patriarch treffend gesagt habe: «Es ist besser, hundert Jahre Gespräche als ein Jahr Krieg zu führen.»

Zur Situation der Kirchen in der Ukraine

Die Russische Orthodoxe Kirche – Moskauer Patriarchat ROK-MP ist im Ökumenischen Rat der Kirchen ÖRK vertreten. Die ROK ist die grösste eigenständige orthodoxe Kirche (rund 100 Millionen Mitglieder) und sehr divers. Bis zum russischen Angriffskrieg lebte etwa ein Drittel davon in der Ukraine. Ende Mai 2022 erklärte sich Ukrainische Orthodoxe Kirche unabhängig vom Moskauer Patriarchat Zu ihrem Territorium zählt nach eigenem Verständnis das Gebiet der ehemaligen UdSSR (mit Ausnahme von Georgien und Armenien), also auch Belarus, Moldawien, Kasachstan und die baltischen Staaten.

Bis 1991 gab es nur eine Orthodoxe Kirche in der Ukraine. Nach dem Zerfall der Sowjetunion und der Unabhängigkeit der Ukraine 1991 bestand der Wunsch, dass – gemäss orthodoxer Tradition – eine nationale Orthodoxe Kirche in der Ukraine entsteht. Ein Teil des ukrainischen Klerus spaltete sich vom Moskauer Patriarchat ab und nannte sich Ukrainisch-Orthodoxe Kirche des Kiewer Patriarchats. Sie erklärte sich zu einer selbständigen Kirche.

Zudem kehrt die Ukrainische Autokephale Orthodoxe Kirche aus dem nordamerikanischen Exil in die Ukraine zurück, die Kirche war bereits in der Zwischenkriegszeit entstanden. Diese beiden Kirchen wurden aber von anderen orthodoxen Kirchen nicht anerkannt. 2018 vereinigten sich die beiden Kirchen und gründeten die Orthodoxe Kirche der Ukraine, der das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel 2019 die Autokephalie (kirchliche Unabhängigkeit) verlieh, ohne ordentliche Konsultation der anderen autokephalen Kirchen. Nur eine Minderheit der autokephalen Kirchen hat die neue Kirche bisher anerkannt. Dies ist auch Ausdruck des langjähren Streits zwischen Moskau und Konstantinopel bezüglich der Vorrangstellung innerhalb der orthodoxen Kirchenhierarchie.

Als Folge davon beendete die ROK 2018 die Kirchengemeinschaft mit dem Patriarchat von Konstantinopel und anschliessend auch mit den drei anderen Kirchen, die die OKU anerkannt haben. Es gibt keine Zusammenarbeit mehr zwischen ihnen, auch kein gegenseitiges Fürbittgebet, was einem Schisma gleichkommt. Als Gegenmassnahme schuf die ROK-MP Ende 2021 ein Exarchat für Afrika (auf dem kanonischen Gebiet des Patriarchats von Alexandrien) mit zwei Eparchien (Diözesen)

Ende Mai erklärte das Landeskonzil der Ukrainischen Orthodoxen Kirche die kirchliche Unabhängigkeit vom Moskauer Patriarchat. Ebenso mehren sich die orthodoxen Stimmen, die Patriarch Kyrill um Intervention bitten bzw. sein Schweigen verurteilen.

Als Folge davon beendete die ROK 2018 die Kirchengemeinschaft mit dem Patriarchat von Konstantinopel und anschliessend auch mit den drei anderen Kirchen, die die OKU anerkannt haben. Es gibt keine Zusammenarbeit mehr zwischen ihnen, auch kein gegenseitiges Fürbittgebet, was einem Schisma gleichkommt. Als Gegenmassnahme schuf die ROK-MP Ende 2021 ein Exarchat für Afrika (auf dem kanonischen Gebiet des Patriarchats von Alexandrien) mit zwei Eparchien (Diözesen).

Ende Mai erklärte das Landeskonzil der Ukrainischen Orthodoxen Kirche die kirchliche Unabhängigkeit vom Moskauer Patriarchat. Ebenso mehren sich die orthodoxen Stimmen, die Patriarch Kyrill um Intervention bitten bzw. sein Schweigen verurteilen. (gem. Angaben der Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz (EKS), www.evref.ch)