Recherche 23. Dezember 2015, von Reinhard Kramm

Spenden mit dem Blick der Wissenschaft

Ethik

Sie geben grosszügig von ihrem Lohn, achten aber akribisch auf die Wirkung ihrer Spenden. Die «Effektiven Altruisten» sind jung, akademisch und wachsen.

Von seinem Vermögen, rund 45 Milliarden Dollar, will Facebook-Gründer Marc Zuckerberg 99 Prozent für wohltätige Zwecke spenden. «Wir glauben, alle Leben haben gleichen Wert, und das schliesst die vielen Menschen mit ein, die in künftigen Generationen leben werden», schreiben er und seine Frau Priscilla anlässlich der Geburt ihrer Tochter.

Radikal. Dominic Roser und seine Frau Miriam verdienen nicht ganz so viel, rund 62 000 Franken waren es im vergangenen Jahr. Davon spendeten sie 6200 Franken an Hilfswerke, welche die Welt­armut bekämpfen. Der Schweizer Ethiker an der Universität Oxford und seine Frau sind Mitglieder der Effektiven Altruisten. Sie haben zugesichert, bis zu ihrer Rente jährlich mindestens zehn Pro­zent ihres Einkommens zu spenden.

Das Konzept des Effektiven Altruismus ist im doppelten Sinne radikal: Man spendet grosszügig, eben altruistisch, aber man spendet nur dort, wo Geld am meisten bewirkt. Die Effektivität der Hilfe berechnet man unter anderem mit Kosten-Nutzen-Analysen. Bei welchem Hilfs­werk erzielt ein gespendeter Dollar den grössten Effekt? Es zeigt sich: Im Ausland kann man oft viel mehr bewirken als im Inland, aber auch dort sind die Unterschiede frappant. Ein Franken für Ma­lariaprävention bewirkt beispielsweise zwan­zigmal mehr als ein Franken für HIV-Behandlung.

Ethisch. Das grösste Glück für die grös­ste Zahl Menschen zu schaffen: Das ist die ethische Idee des Utilitarismus. Damit verbunden ist auch die Überzeugung, Glück in Zahlen messen zu können. «Man muss aber überhaupt kein Utilitarist sein, um Effektiver Altruist zu sein», sagt Dominic Roser. «Wir alle nehmen doch für Alltagsentscheidungen Zahlen zu Hilfe. Weshalb sollten wir ausgerechnet beim Spenden weniger sorgfältig vorgehen?»

Dominic Roser und Marc Zuckerberg verbindet nicht nur ihre altruistische Hal­tung, sondern auch eine ähnliche Argumentation: Alle Leben sollen den gleichen Wert haben, nahe wie ferne, jetzige und künftige Leben. Peter Singer, aus­tralischer Philosoph und prominenter Un­terstützer der Effektiven Altruisten, drückte das in einem Beispiel so aus: Wohl jeder Mensch würde ein Kind retten, das in einem Teich ertrinkt, selbst wenn er dabei seine teuren italienischen Schuhe ruinierte. Warum, so fragt Singer, handeln wir nicht ebenso selbstlos mit Menschen in Armut, die einfach nur weiter entfernt von uns leben als das Kind im Teich?

Wachsend. Jonas Vollmer, Geschäftsleiter der Schweizer Stiftung für Effektiven Altruismus, beschreibt die hiesige Bewegung als jung, akademisch und wachsend. Viele Engagierte seien Studierende oder Berufseinsteiger. Im vergangenen Jahr spendeten sie über eine halbe Million Franken, in diesem Jahr seien es bereits mehr als eine Million. Schweizweit führen die Mitglieder rund fünfzig Anlässe durch, vor allem an Hochschulen, an denen mehrere tausend Personen teilnahmen.

Die Idee, Geld möglichst effektiv einzusetzen, greift auch auf christliche Vorbilder zurück. So forderte John Wesley, Gründer der evangelisch-methodistischen Kirche, in seiner Predigt über den ungerechten Mammon (Lukas 16, 9.): «Erwirb so viel Du kannst! … Gib alles, was Du kannst!» Für Effektive Altruisten heisst so ein Gedanke durchaus, dass sie einen gut bezahlten Job anstreben, um danach mehr Geld spenden zu können.

Dominic Roser jedenfalls will Kopf und Herz verbinden: als Ethiker, der auf dem Pariser Klimagipfel referiert, wie man Gerechtigkeit in eine heissere Welt bringt. Als Altruist, der zehn Prozent seines Einkommens spendet und es so effek­tiv wie möglich eingesetzt sehen möchte.

www. ea-stiftung.org; www.givingwhatwecan.org