Recherche 30. Mai 2020, von Constanze Broelemann, Katharina Kilchenmann, Nicola Mohler, Felix Reich, Sabine Schüpbach Ziegler

Verbindende Kraft und heilsames Durcheinander

Glauben

An Pfingsten wurden die Apostel vom Heiligen Geist erfüllt. Auch heute liefert die Geistkraft geniale Zuspiele in den freien Raum.

Ein heftiger Sturm erfüllt das Haus

«Als der Tag des Pfingstfestes gekommen war, waren alle zusammen am selben Ort. Da kam plötzlich vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daherfährt, und erfüllte das ganze Haus, in dem sie sassen», so steht es in der Apostelgeschichte. Was für ein eigenartiges und faszinierendes Ereignis. 49 Tage nach Ostern sitzen die Jünger zusammen und werden vom Heiligen Geist entflammt. Sie sind buchstäblich begeistert und plötzlich sprachmächtig. Alle Zuhörer verstehen, was sie sagen. Christen verstanden sich an Pfingsten erstmals als Einheit, als ein Gottesvolk. Das Pfingstwunder gilt deshalb als der Geburtstag der Kirche.

Für eine Sache brennen

Wenn ich als Pfarrerin das Thema Pfingsten mit Jugendlichen diskutiere, suchen wir nach diesem «spirit». Nach dem, was uns begeistert. Worin wir uns verbunden fühlen. Auf der letzten Konffahrt spürten wir einen solchen Geist der Gemeinschaft. Wenn ganz unterschiedliche Menschen für eine Sache «brennen»: So bekommt Pfingsten bis heute Kontur. (CB)

Steilpässe des Heiligen Geistes

Wenn das nur gut kommt. Mit einem Imam, mit dem ich beim FC Religionen spiele, bin ich zu einem katholischen Gottesdienst eingeladen. Der Pfarrei­leiter ist begeistert vom Team, in dem Angehörige unterschiedlicher Religionen, darunter Pfarrer, Imame und Rabbiner, kicken. Eine Koran-Sure auf Arabisch wäre schön, mailt er mir. Und ob ich bei der Eucharistie nicht das Hochgebet übernehmen möchte?

Das geht doch nicht mit dem Koran, denke ich. Wir dürfen Grenzen nicht verwischen. Und schüchtern weise ich darauf hin, dass ich kein Theologe sei. Der Katholik antwortet bloss: «Wir machen die Mitwirkung nicht am Amt fest.» Erwischt!

Gottes neuer Matchplan

So stehe ich in der Kirche von Sempach zwischen Ministranten beim Abendmahl. Danach höre ich die arabische Sure, die darum bittet, dass Gott uns nicht vergesse, wenn wir ihn vergessen. In der Fürbitte bete ich dafür, dass ich dem Heiligen Geist vertraue statt meinen Ängsten und Vorurteilen. Das Nebeneinander wird zum Miteinander, und doch hat alles seinen Platz.

Zuweilen reicht es, Herz und Kirchentür zu öffnen, um den Steilpass zu verwerten, den die heilige Geistkraft spielt. Im Vetrauen, dass es gut kommt und wir unsere Position finden, wenn Gott das Spielsystem durcheinanderwirbelt. (FMR)

Kürzlich wurde in unserem Mietshaus eine neue Wäschespinne ge­liefert. Endlich! Erfreut klappte ich sie auf. Sogleich stach mir ihr Markenname ins Auge: «First Lady». Ich musste lachen. Das klingt, als sei es die edelste Aufgabe der Frau, Wäsche aufzuhängen. Wäre der Name «Superman» denkbar? Eben.

Das zeigt: Trotz fortgeschrittener Gleichberechtigung schwirrt in der Gesellschaft immer noch ein Denken herum, das den Geschlechtern bestimmte Lebensbereiche zuordnet. Haushalt dem Weiblichen,  Karriere dem Männlichen. Von solchen Zuordnungen werden Frauen und Männer eingeschränkt.

Die «Ruach» hat Power

Darum sehnte ich, die Wäschespinne betrachtend, den Heiligen Geist herbei – verstanden als eine Kraft, die festgefahrene Kategorien in unseren Köpfen sprengt. Oder besser gesagt: die Heilige Geistin.

In der hebräischen Bibel ist der Geist weiblich. Und die «Ruach» hat ­Power: Weitere Bedeutungen sind Wind, Sturm, Atem, Wutschnauben und das Keuchen beim Gebären. In der Bibel sprengt die Geistkraft an Pfingsten Sprachgrenzen.  Plötzlich verstehen sich die Menschen. «Bitte, puste mal die festgefahrenen Geschlechtervorstellungen durch», bitte ich und hänge ein Jungs-T-Shirt mit Superheld an der «First Lady» auf. (SAS)

Beim Applaus flossen die Tränen

Mit Claudio Monteverdis «Orfeo» geht es weit zurück, bis zu den Anfängen der Oper um 1600. Und noch weiter zu Orpheus, dem Sänger aus der griechischen Mythologie. Seine traurige Geschichte über den Verlust der geliebten Eurydike berührt die Menschen seit Jahrhunderten, das wusste ich. Doch dass sie mich einmal in fassungsloses Schluchzen versetzen könnte, damit hatte ich nicht gerechnet.

Rausch kippt in Trauer

Es war vor ein paar Jahren in der Komischen Oper in Berlin, als Monteverdis Musik wie ein Sturm über mich hinwegbrauste. Üppiges Grün rankte sich von der Bühne in den Zuschauerraum, und fantastische Wesen sangen und tanzten in der Farbenpracht. Und dann, als Orfeo seine Geliebte in der blassen Unterwelt nicht retten konnte, kippte der Rausch in quälende Trauer.

Im tosenden Schlussapplaus flossen meine Tränen. Worte für das Erlebte gab es nicht. Doch was mich da ergriffen hatte, liess mich bis heute nicht los. (KI)

Als Gott der Rose die Dornen nahm

Ruth begegnete Jesus in Galiläa. Gerne wäre sie ihm nach Jerusalem gefolgt, doch sie wollte ihre Familie nicht zurücklassen. Als Ruth vom Tod Jesu hörte, erfüllte sie eine tiefe Trauer. Erst nach Wochen erfuhr sie von einem Jünger, dass Jesus auferstanden und in den Himmel gefahren sei, und dass sich in Jerusalem beim ersten Pfingstfest 3000 Menschen taufen liessen.  

Beglückende Schönheit

Ruth war überglücklich. Sie ging in ­ihren Rosengarten und traute ihren Augen nicht: Den blühenden Rosen fehlten die Dornen. «Gott hat die Dornen fortgenommen und das Leid in Freude verwandelt», dachte Ruth. «Der Gekreuzigte wurde von den Toten auferweckt und auch uns so das ewige Leben geschenkt.»

So berichtet es eine der vielen Legenden, die sich um die Pfingstrose ranken. Sie gilt als Zeichen für Heil und Geborgenheit. Ein Strauss Pfingstrosen ist für mich der Inbegriff von Frühsommer und purer Schönheit, die mich jedes Jahr von Neuem beglücken. (NM)