Als sie ihren Sohn und ihre Tochter aufklären wollte, war Brigitte Neumann (Name geändert) oft ratlos. Die heute 54-jährige alleinerziehende Mutter erinnert sich, wie sie dabei versuchte, von den äusserlichen, rein körperlichen Aspekten der Sexualität wegzukommen. «Das fand ich schwierig in einer Zeit, in der die jungen Ewachsenen im Internet viel nackte Haut und pornografische Darstellungen sehen.»
Verbunden sein. Brigitte Neumann sagt, diese andere Dimension der körperlichen Intimität, die weit über den Geschlechtsakt hinausgeht – danach habe sie schon lange vor der Aufklärung ihrer Kinder und auch danach gesucht. Deshalb fühlte sie sich letztes Jahr sehr angesprochen vom Kurs im Kloster Kappel, der «Sexualität und Spiritualität» zu thematisieren versprach. Sie erklärt: «Ich hatte schon immer gespürt, dass Sexualität in einen Raum führen kann, in dem man mit sich, dem Liebespartner und dem grossen Ganzen verbunden ist.» Darin habe sie der Kurs sehr bestärkt. Sie besuchte ihn mit ihrem neuen Partner, den sie nach langjährigem Singledasein kennengelernt hatte. Auch die Partnerschaft habe entscheidende Impulse erhalten, sagt sie.
Sexualität als etwas «Heilsames und Heiliges», die körperliche Liebe als «Gebet»: Die Ankündigungen des Kurses mögen für manche «gschpürig» tönen. Dabei geht es um etwas Handfestes. Kursleiterin Kristina Pfister Jaermann ist in Winterthur als Sexualtherapeutin tätig und sagt: «Oft trennt Sexualität Paare mehr, als dass sie sie verbindet. Wir möchten zeigen, wie körperliches Zusammensein die Verbundenheit stärkt.»
Bewusst bleiben. Konkret läuft der Kurs so ab, dass Kristina Pfister Jaermann und ihr Mann, Kursmitleiter Claude Jaermann, Ansätze vorstellen, wie Paare spielerisch miteinander über Sexualität kommunizieren können – zum Beispiel mithilfe der «SexKiste der Liebe», die sie verfasst haben. Und wie die Paare lernen könnten, im körperlichen Zusammensein den Partner, aber auch die eigenen Gefühle und körperlichen Empfindungen ganz achtsam wahrzunehmen. Das sei entscheidend, erklärt Claude Jaermann, denn dadurch entstünden jene Stille und Verbundenheit, nach der sich viele sehnen.
Diese achtsame Qualität nennen die Kursleitenden Agape. Kristina Pfister Jaermann erklärt, dieser griechische Begriff könne übersetzt werden mit «das Seiende, Liebende, das immer schon da ist». Im Kurs werde er verstanden als Gegenqualität zum Eros, der suche und begehre. «Agape verweilt im erwartungsfreien Raum und ist offen für alles, was sich zeigt, ohne nach Erregung zu suchen. Diese kann sich zwar einstellen, ist aber nicht das Ziel.» Erst wenn Eros und Agape zusammenkämen, würden intime Begegnungen «rund und ganz».
Überrascht werden. Dies zu hören, war für Andreas Halter (Name geändert) sehr «wertvoll», wie er sagt. Der heute bald 65-Jährige besuchte den Kurs schon vor drei Jahren – aus Neugierde. «Es interessierte mich einfach, was man noch so miteinander anstellen kann», erinnert er sich. Er fügt aber gleich an: «Man sollte sich keine falschen Vorstellungen vom Kurs machen. Es herrschte nie eine erotisch aufgeladene Atmosphäre. Vielmehr drehte sich alles um Achtsamkeit, und es ging stets darum, sich und die Partnerin bewusst wahrzunehmen.»
Der ehemalige Lehrer besuchte den Kurs mit seiner langjährigen Partnerin. Er räumt freimütig ein, dass er hier zum ersten Mal verstanden habe, dass seine Partnerin gar nicht so interessiert sei an einer Sexualität, die auf den Orgasmus hinsteuert. «Zu realisieren, dass ich sie gar nicht dazu bringen muss, war sehr befreiend für mich.» Er geniesse es seither, «zusammenzusein, ohne irgendwo hin zu müssen.»
So könne Sexualität zu etwas Heiligem werden, sagt Andreas Halter, der als Mitarbeiter in einer reformierten Kirchgemeinde tätig ist. «Alles, was mich für den anderen Menschen öffnet, ist Teil der Spiritualität.»
Zu zweit sein. Der Kurs beinhaltet auch Körper- und Wahrnehmungsübungen, die die Paare in ihren Zimmern durchführen. Paargespräche sind so organisiert, dass niemand mithören kann.
Brigitte Neumann sagt, seit dem Kurs bestärke sie ihren Sohn und ihre Tochter umso mehr, in der Sexualität den eigenen Empfindungen zu vertrauen. Sie selbst habe gelernt, wie wichtig es sei, beim Zusammensein mit ihrem Partner «authentisch zu bleiben mit den eigenen Gefühlen und Bedürfnissen und diese auch auszusprechen – selbst wenn dies anerzogene Werte auf den Kopf stellt.»
Die Angebote von Kristina Pfister Jaermann und Claude Jaermann: www.paare.ch
Das Kloster Kappel: www.klosterkappel.ch