Wir sind hier im Grossratssaal in Chur. Theater findet statt, wo eigentlich Politik gemacht wird. Wie passt das zusammen?
Nikolaus Schmid: Als die Idee geboren war, das Theaterstück «Gott – Wem gehört unser Leben? Und wer entscheidet über unseren Tod?» des deutschen Schriftstellers Ferdinand von Schirach aufzuführen, suchten wir nach geeigneten Lokalitäten. Wir wollten für unsere Tournee durch Graubünden Orte in der Nähe von Gesundheitszentren finden. In Chur wählten wir den Grossratssaal. Auf diese Weise erlebt das Publikum die Auseinandersetzung mit dem Thema Sterbehilfe mitten in der Gesellschaft.
Am Ende des Stücks ist das Publikum aufgerufen, mit Ja oder Nein abzustimmen, ob die Frau das Sterbemedikament bekommen soll oder nicht. Haben Sie persönlich eine Meinung dazu?
Ehe ich in dem Stück mitspielte, hatte ich eine recht oberflächliche, aber auch klare Meinung zum Thema Sterbehilfe. Mit der intensiven Auseinandersetzung durch das aktuelle Stück kommen mir Fragezeichen. Ich habe keine endgültige Antwort und denke, sie ist jeweils eine Frage der Perspektive.
Können Sie das ausführen?
Hören wir Frau Gärtner, der Frau mit dem Sterbewunsch, zu, dann können wir denken: «Verständlich, dass die Frau diesen Wunsch hat.» Aber was hiesse das in der Konsequenz? Darf dann auch eine 18-Jährige, die den Wunsch hat, ihr Leben zu beenden, das Medikament fordern? Diese und weitere Perspektiven nimmt von Schirach in seinem Stück auf.
Sie spielen die Rolle des Dr. Keller. Er ist von einem fiktiven Ethikrat beauftragt, Fragen zu stellen. Welche Haltung hat die Figur?
Dr. Keller befragt Sachexperten. Zum Beispiel danach, was die rechtlichen Bestimmungen zur Sterbehilfe sind. Die Figur hat aber auch ein eigene Meinung zum Thema, deren Quintessenz etwa ist: «Ärztinnen und Ärzte dürfen die Hand nie zum Suizid eines gesunden Menschen reichen.»
Das ist auch die offizielle Haltung des Berufsverbands der Schweizerischen Ärztinnen und Ärzte (FMH). Das Thema ist also auch in der Schweiz noch aktuell?
Definitiv. Wir haben die deutschen gegen die schweizerischen Bestimmungen ausgetauscht und konnten noch aktuelle Anpassungen des FMH vom Frühjahr in das Stück einfliessen lassen. Die Vorstellungen in Chur waren innert zweier Wochen ausverkauft.
Eine existenzielle Frage wie die nach der Sterbehilfe ist immer auch für die Theologie relevant. Kommt die Kirche in dem Stück vor?
Ja, in Form des Bischofs Thiel. Gespielt wird er von Kurt Grünenfelder. Der Bischof hat eine eindeutige Haltung zur Sterbehilfe. In einer langen Szene erleben die Zuschauerinnen und Zuschauer eine interessante und clevere Debatte zwischen Bischof Thiel und dem Anwalt Biegler. Der vertritt die Protagonistin Frau Gärtner, die den Suizidwunsch hat. Der Anwalt tritt dem Bischof mit einer rationalen und gänzlich unreligiösen Haltung gegenüber.
Welche Argumente bringt Bischof Thiel?
Ferdinand von Schirach lässt in seinem Stück viele Seiten zu Wort kommen. Eine davon ist Bischof Thiel. Von Schirach lässt den Bischof zum Schluss sagen, dass der Mensch immer meine, der Sinn des Lebens bestehe darin, glücklich zu sein. Aus Sicht des Bischofs greift diese Ansicht aber zu kurz. Auch Leiden gehöre zum Leben, sagt er.
Streben nach Glück. Ein Leben ohne Leiden. Diese Fragen beschäftigen viele Menschen.
Ja. Und ich bin sehr gespannt, was Theologinnen und Theologen zu dem Stück sagen.
Das Theaterstück wurde schon im deutschen Fernsehen gezeigt. Wie kommt es, dass das Stück nun auch von einem Bündner Ensemble aufgeführt wird?
Der Impuls kam aus den Reihen der Menzi-Jenny-Gertrud-Stiftung, die sich für humanes und individuelles Sterben einsetzt. Die Präsidentin Barla Cahannes hatte die Idee, das Stück in Graubünden aufzuführen. Wir tun das mit einem Team von acht Profischauspielern.
Interview: Constanze Broelemann
www.gott-theater.ch