Wo die Christen subversiv wirken

China

Ein neuer Film zeigt die Geschichte der Reformation und deren Bedeutung bis heute in China. Das Filmprojekt ist heikel.

«Die Reformation veränderte die Welt und sie wird auch China verändern», sagt Liz Pan. Die 33-jährige Christin aus Schanghai, eine unabhängige Filmemacherin, produziert zurzeit einen Film über die Reformation. Einer der Drehorte ist das Grossmünster in Zürich. Neben der Schweiz drehte das kleine Filmteam auch in Deutschland und in Frankreich, an wichtigen Orten der Reformation. Eine Reihe von Reformationsspezialisten, Luther- und Zwingli-Experten kommen dabei zu Wort. Der Film soll zum einem die Reformation in ihrer Bedeutung und Vielfalt einem chinesischen Publikum nahebringen. Laut Liz Pan wissen die protestantischen Christen in China wenig über die Geschichte der Reformation. «99,99 Prozent von ihnen kennen Zwingli nicht», sagt sie. Ihnen will sie mehr über die Wurzeln ihres Glaubens vermitteln.

Daneben geht der Film auch der Frage nach, wie die Reformation China beeinflusst. Etwa direkt via die Missionsbe­wegung, aber auch indirekt, indem das Christentum die westlich-europäische Gesellschaft stark geprägt und das Auswirkungen auf die chinesische Gesellschaft von heute hat.

Freiheit und Demokratie. Das Budget beträgt gerade mal 10 000 Franken, das privat von Christen in China und zu einem kleineren Teil mit Geldern der Zürcher Landeskirche finanziert wird. Gezeigt werden soll der Film in vier halbstündigen Teilen ab Ende Oktober über Social Media. Theologischer Leiter des Filmprojekts ist der Schweizer Tobias Brandner. Seit über zwanzig Jahren ist er als Professor für Theologie an einer Schule der Universität in Hongkong sowie als Gefängnisseelsorger für Mission 21 tätig. Er tritt auch selbst im Film auf. Im Gespräch am Drehort im Grossmünster weist er auf die besondere Gratwanderung des Filmes hin. Dieser ginge natürlich auch auf Aspekte der Freiheit und Demokratie ein, Werte, zu deren Verbreitung die Reformation einen wesentlichen Beitrag geleistet hat. Im Film jedoch müssten heikle Begriffe und gewisse Schlagwörter vermieden werden, betont Brandner. «Einen Slogan wie ‹Democracy for China› kann man nicht direkt in die Kamera sagen. Doch ich werde über Zusammenhänge zwischen reformiertem Glauben und demokratischer Entwicklung sprechen».

Partei herausgefordert. Der Film wird in einer schwierigen Zeit ausgestrahlt werden. Zwar ist das Christentum in China per Verfassung zugelassen, und der Protestantismus gehört mit dem Katholizismus, dem Daoismus, Buddhismus und Islam zu den fünf staatlich anerkannten Religionen. Dennoch sehen sich die Kirchen, seit Präsident Xi Jinping die Geschicke des Landes leitet, zunehmender Repression ausgesetzt. Während in Hongkong, wo Brandner arbeitet, die Kirchen völlig frei sind, wächst der Druck auf sie in China. Die Zahl ihrer Mitglieder wächst stetig, inzwischen sind es rund siebzig Millionen oder mehr. Vermutlich hat sie bereits mehr Mitglieder als die Kommunistische Partei. Für diese stellt die Kirche auch insofern eine Herausforderung dar, als viele Menschen von hohem gesellschaftlichem Rang und mit guter Bildung eine Mitgliedschaft bei der Kirche derjenigen in der Partei vorziehen würden.

Ein wesentlicher Grund für das Anwachsen des Christentums liegt in der Auflösung bisheriger gesellschaftlicher Strukturen und Moralstandards und in der Diskreditierung klassischer Werte. Was die Christen für die Staatsführung zudem laut Brandner zur Bedrohung macht: «Kirchenmitglied zu sein hat in China etwas implizit Subversives an sich». Das lasse sich mit den ersten drei Jahrhunderten des Christentums in Europa vergleichen, als von diesem Loyalität gegenüber dem Staat – damals das Römische Reich – verlangt wurde. Für Christen jedoch gehöre die letzte Loyalität stets Gott und nicht dem Staat. Sie hielten beharrlich daran fest, dass gemäss Verfassung in China Religionsfreiheit bestehe; derweil bestehe das Selbstverständnis der Partei darin, dass sie die höchste Repräsentation des Volkes darstelle und somit quasi über der Verfassung stehe. Xi Jinping hat vor einigen Jahren die «Sinisierung» der Religionen angeordnet. «Das heisst nichts anderes als: Das Christentum hat sich der Führung der Kommunistischen Partei zu unterwerfen», sagt Brandner.