Recherche 15. Juli 2021, von Roger Wehrli

Wo sich bis heute Spuren der Hugenotten finden

Themenwanderung

Der internationale Hugenotten- und Waldenserweg ist nun auch im Aargau durch-gehend begehbar. Besonders geschichtsträchtig ist der Abschnitt zwischen Schafisheim und Lenzburg.

Wer den Hugenotten- und Waldenserweg zwischen Schafisheim und Lenzburg begehen möchte, beginnt die Wanderung am besten an der Alten Bernstrasse. Dort befindet sich das herrschaftliche Brutelgut, weitherum bekannt als Rudolf-Steiner-Schule. Der Name Brutel  stammt aus dem südfranzösischen Languedoc. Gédéon Brutel de la Rivière war zwar adligen Geblüts, jedoch auch ein überzeugter Reformierter, was ihn 1685 zur Flucht in die Schweiz trieb.

In jenen Jahren erreichte die Verfolgung der Hugenotten in Frankreich wie auch der Waldenser im Piemont ihren Höhepunkt. Das reformierte Genf war der schützende Hafen, den es zu erreichen galt. Von dort aus zogen die Flüchtlinge weiter in die reformierten Gebiete der Schweiz und Europas. Gédéon Brutels Söhne verschlug es bis nach England und Holland, einer kehrte gar nach Frankreich zurück.

Unternehmen gegründet

Die beiden Jüngsten jedoch, Etienne und Samuel, etablierten sich als  Textilunternehmer in der Schweiz. In Schafisheim gründeten sie die Indienne-Druckerei. Als Samuel schliesslich in Burgdorf heimisch wurde, machte dies Etienne zum alleinigen Besitzer der Schafisheimer Herrschaft und zum Stammvater des Schafisheimer Familienzweigs. Diese Linie der Familie starb erst 1996 aus.

All das und noch viel mehr Wissenswertes verraten die 19 Schrifttafeln, welche den 89 Kilometer langen Kulturweg säumen. Unter den aus Frankreich und dem Piemont geflüchteten Reformierten befanden sich etliche Geschäftsleute, Kunst - und Facharbeiter. Für die heimische Wirtschaft waren sie somit ein Gewinn.
Es waren vornehmlich Hugenotten, welche  die Uhrenindustrie zum Erblühen brachten. Ebenso betätigten sie sich als Bankiers und Händler. Im Aargau waren die umtriebigen Franzosen massgeblich an der Entstehung der Textilindustrie beteiligt. Bis dahin kannte man hierzulande weder die Seidenweberei noch den aus Asien stammenden Indienne-Druck.

Ein paar Wegminuten vom Brutelgut entfernt gelangt man zum Schloss, an dessen Südseite die Gebrüder Brutel einen Fabrikanbau errichten liessen. Die dort hergestellten Stoffe exportierten sie bis nach Frankreich und Italien. Die zwei Söhne führten das Unternehmen anfangs erfolgreich weiter. Allerdings war die Textilindustrie schon damals den Launen der Modewelt ausgesetzt, was dazu führte, dass sich der Indienne-Druck immer schlechter verkaufte. Stattdessen widmete sich die Manufaktur vermehrt der Seidenbandweberei. Um 1800 war es aber auch damit vorbei. Die Fabrik wurde geschlossen. Heute können die Besucherinnen und Besucher im Foyer der ehemaligen Manufaktur die Portraits sowie den Stammbaum und einige historische Dokumente der Familie Brutel besichtigen.

Staufberg war wichtig

Hat man die letzten Häuser von Schafisheim hinter sich gelassen, öffnet sich den Wanderern eine weite Ebene, aus deren Mitte sich der dicht bewaldete Staufberg erhebt. Die auf dem Hügel thronende Kirche ist ganz besonders mit der Geschichte der Familie Brutel verwoben. Die Kirche Staufberg war ihre Kirche. Etienne Brutel wurde hier 1752 bestattet. Eine Gedenktafel erinnert auch heute noch an ihn.

Glaube und Religion spielten im Leben dieser Hugenottenfamilie eine zentrale Rolle. Gottesdienste gehörten zum selbstverständlichen Pflichtprogramm. Die  typischen reformierten Tugenden bestimmten das Leben der Familienmitglieder. Man war sittenstreng, fleissig, gewissenhaft und sparsam. Die Kirchgemeinde gab den Hugenotten den nötigen Halt und ein für sie verlässliches Umfeld.

Obwohl der Staufberg eine doch eher bescheidene Erhebung ist, überschaut man von hier aus den halben Kanton Aargau. Der Blick schweift über das wild zersiedelte Gebiet von Staufen und Lenzburg. Eine Ortsgrenze ist von hier oben nicht auszumachen. Weiter im Osten verläuft der lange Grat der Lägern. Blickt man nordwärts, sind in weiter Ferne sogar die Erhebungen des der Schwarzwalds sichtbar.
Bis dort hin und darüber hinaus verläuft der Aargauer Hugenotten- und Waldenserweg. Weit zurück liegt die Odyssee  dieser Gemeinschaft und erinnert uns trotzdem an die Gegenwart.