Schwerpunkt 24. Januar 2024, von Felix Reich

«Wir müssen Verantwortung übernehmen»

Brücken in den Balkan

Der freisinnige Politiker Përparim Avdili sagt, wie der FC Kosova sich für die Integration engagiert und weshalb die Schweiz eine andere Einbürgerungspolitik braucht.

Sie sind im Vorstand des FC Kosova. Warum brauchen Einwanderer einen eigenen Fussballclub?

Përparim Avdili: Der Verein wurde 1994 von Migranten aus dem Kosovo oder anderen Albanisch sprechenden Gebieten gegründet. Die Liebe zum Fussball und das Bedürfnis, die Verbindung zur Heimat aufrechtzuerhalten, vereinten sie. Heute stehen wir ganz woanders. Der FC Kosova ist heute nicht mehr der alte Migrantenverein. Wir sind ein Zürcher Verein, der respektiert wird und in der ersten Amateurliga spielt.

Die Brücken in die alte Heimat sind geblieben. Die erste Mannschaft spielte am Supercup der kosovarischen Diaspora in Pristina.

Das war vor allem ein schöner Vereinsausflug. Der Supercup wird jeweils von Mannschaften der kosovarischen Diaspora organisiert.

Wie wichtig ist der Bezug zum Kosovo denn heute noch?

Er ist die DNA des Vereins. Aber während in den 90er-Jahren fast nur Albanisch gesprochen wurde, reden wir im Verein heute Zürichdeutsch. Im Vorstand engagieren wir uns, weil wir Freude daran haben, Menschen in die Gesellschaft zu einzubinden, Vorbilder zu sein.

Vorbild wofür?

Für eine gelungene Integration.

Përparim Avdili, 36

Im Rahmen des Familiennachzugs kam Përparim Avdili als Sohn eines Saisonnier-Arbeiters aus dem albanischen Dorf Llojan in Mazedonien zusammen mit der Mutter und seinen Geschwistern nach Zürich, wo er aufwuchs und bis heute wohnt. Seit 2018 ist der Fachmann für Berufliche Vorsorge Mitglied des Zürcher Stadtparlaments, seit zwei Jahren präsidiert Avdili die FDP der Stadt Zürich.

Was heisst das konkret?

Es ist wichtig, dass wir in der neuen Heimat, wo wir bleiben und Wurzeln schlagen werden, Verantwortung übernehmen. Zugleich halten wir die Erinnerung an das Land der Eltern und Grosseltern wach.

Ihre Aufgabe als Fussballclub endet nicht nach dem Schlusspfiff?

Genau. Sponsoren helfen etwa bei der Lehrstellensuche. Oder wir binden erfolgreiche Persönlichkeiten an den Verein: Unternehmer oder den siebenfachen Schweizer Nationalspieler Milaim Rama. Sie zeigen, was in der Schweiz möglich ist, und treten einer gewissen Opferhaltung in der Community entgegen.

Spüren Sie denn bis heute nega­ti­ve Vorurteile, die eine solche Op­ferhaltung rechtfertigen könnten?

Ich persönlich könnte sagen, es habe sich erledigt. Doch als zum Beispiel 2021 der Zürcher Regierungsrat das Alba-Festival sehr kurzfristig verbot, zeigte sich, dass Menschen mit albanischer Abstammung offenbar doch anders behandelt werden. Zwar nur punktuell, dafür bei einem so gewichtigen Entscheid.

Sie haben das Gefühl, ein Jodlerfest wäre nicht verboten worden?

Das ist kein Gefühl, das ist Fakt. Der Regierungsrat argumentierte, dass das Festival eine von Covid «stark betroffenen Community» anziehe. Eine solche Diskriminierung ist eines liberalen Rechtsstaats unwürdig und wurde von der Kommission für Rassismus gerügt.

Als ich eine Lehrstelle suchte, hatte ich oft mit Menschen zu tun, die Angst hatten vor dem Fremden.

Gibt es weitere Ungleichheiten?

Normalerweise ist die Diskriminierung subtiler. Studien belegen, dass Menschen mit ausländisch klingenden Namen in Bewerbungsverfahren oder auf dem Wohnungsmarkt benachteiligt werden.

Mussten Sie persönlich mehr Widerstände überwinden als andere?

Sicher. Die Frage ist, was ich daraus mache. Genau das wollen wir im FC Kosova vermitteln: Ich kann Verantwortung übernehmen und dafür sorgen, dass nächste Generationen nicht dasselbe erleben müssen. Auch deshalb ging ich in die Politik.

Diskriminierung als Antrieb?

Bei mir war es so. Als ich eine Lehrstelle suchte, hatte ich oft mit Menschen zu tun, die Angst hatten vor dem Fremden. Mich hat das angestachelt. Aber so darf es ja eigentlich nicht sein: dass man Menschen kaputtmacht und dann schaut, ob sie daraus Stärke entwickeln.

Lässt sich das Problem überhaupt politisch lösen? Vorurteile lassen sich nicht durch Parlamentsbeschlüsse aus der Welt schaffen.

Die Politik kann die Rahmenbedingungen verbessern. Ich wollte mit einem Vorstoss in der Stadt Zürich Bewerbungsverfahren anonymisieren. Dann würden Arbeitgeber allein aufgrund der Kompetenzen und unabhängig von Name, Geschlecht oder Hautfarbe eine erste Auswahl treffen. Die Vorurteile kann ich nur bekämpfen, indem ich zeige, dass ich anders bin, und die Leute gute Erfahrungen machen.

Shaqiri und Xhaka haben das einzig Richtige getan und sich entschieden, für ihre Heimat zu spielen.

Dann müssen Sie aber immer der Vorzeige-Migrant sein?

Ja, das ist anstrengend und eigentlich ungerecht. Ich glaube aber, das die wenigsten Menschen Vorurteile haben, weil sie böse sind. Sie lesen von kriminellen Ausländern, bekommen politische Kampagnen mit und irgendwann verfestigt sich ihr Bild. Dem können wir nur begegnen, indem wir als Menschen mit Migrationsgeschichte verantwortungsvolle Posten übernehmen in Wirtschaft und Politik. Es ist kein Zufall, dass viele Ausländerinnen und Ausländer eigene Firmen gegründet haben. Manche von ihnen haben Erfolg und können es nun anders machen als jene, die ihnen aufgrund ihrer Herkunft keine Stelle gegeben haben.

Auch der Staat steht in der Verantwortung, wenn es um die Integration geht. Passiert da genug?

In der Einbürgerungspolitik nicht. Jugendliche, die hier geboren und aufgewachsen sind und sozialisiert wurden, sollten wir viel aktiver angehen und ihnen vermitteln: «Hier ist deine Heimat, du gehörst zu uns, egal welchen Pass deine Eltern haben.» Wenn jemand im Alter von zwölf Jahren mit dieser Botschaft eingebürgert wird, so entwickelt er ein ganz anderes Heimatgefühl, als wenn er wie heute mit 18 gesagt bekommt: «Jetzt musst du beweisen, dass du Schweizer werden willst, obwohl du es eigentlich längst bist.»

Gerade im Fussball flammt die Debatte, wer ein richtiger Schweizer sei, immer wieder auf. Im Brennpunkt stehen oft Xherdan Shaqiri und Granit Xhaka, die Wurzeln im Kosovo haben. Nervt Sie das?

Natürlich sind das richtige Schweizer. Die Schweiz ist prädestiniert für solche Erfolgsgeschichten, denn sie ist eine Willensnation, die sich nicht durch Sprache oder Konfession definiert. Shaqiri und Xhaka haben das einzig Richtige getan und sich entschieden, für ihre Heimat zu spielen. Dass die Herkunft ihrer Eltern zu ihrer Identität gehört, ist völlig klar. Daran stört sich eine kleine, laute Minderheit, die einen nationalistischen Diskurs befeuert, der eigentlich sehr unschweizerisch ist.