Schwerpunkt 24. Januar 2024, von Hans Herrmann

Gemeinsam ein gutes Stück Weg gegangen

Brücken in den Balkan

Die Schweiz und der Balkan haben gemeinsam ein Stück Weg zurückgelegt. Weiter geht es, zum Teil in die andere Richtung – wie und wohin, das zeigen zwei Berichte und ein Interview.

Vor Beendigung des Kalten Kriegs 1989 handelte es sich bei jenen Menschen aus dem Balkan, die in der Schweiz lebten, fast ausschliesslich um jugoslawische Saisonniers. Die Männer am Betonmischer, Presslufthammer und auf den Gerüsten arbeiteten hart, waren bei den Bauunternehmungen gefragt und bei den Schweizer Kollegen wegen ihres Fleisses und ihrer Effizienz respektiert.

In den 1990er-Jahren wurde der Vielvölkerstaat Jugoslawien von einer Reihe von Bürgerkriegen erschüttert. Das einst kommunistische Land zerfiel in neue Staaten: Serbien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo und anderen.

Die Kriege waren überaus brutal, geprägt von Völkermorden, Massakern und Kriegsverbrechen. Menschen flohen, auch in die Schweiz. Im Gegensatz zu den stillen Gastarbeitern von einst waren die neu Ankommenden weniger gern gesehen. Junge Männer standen unter dem Generalverdacht der Kriminalität und Gewaltbereitschaft.

Das Misstrauen wich

Auch Ehepaare und Familien kamen in die Schweiz. Deren Kinder besuchten mit Schweizer Kindern den Unterricht, die Eltern lernten sich bei Infoabenden und anderen Schulanlässen kennen.

Nach und nach wich das Misstrauen. Kinder aus dem ehemaligen Jugoslawien machten in der Schweiz eine Ausbildung, manche bildeten sich weiter, absolvierten ein Studium, brachten es zu Erfolg. In der Schweiz besonders präsent ist die albanische Diaspora. Es sind zumeist Albanerinnen und Albaner aus dem Kosovo. Sie flohen Ende der 1990er-Jahre vor den Gräueln des Krieges in ihrer Heimat.

Zentrum der Diaspora im Norden der Schweiz

Die meisten Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien, die in der Schweiz leben, haben albanische Wurzeln. Wie viele es sind, ist nicht genau bekannt. Immerhin so viel: Laut dem Bundesamt für Statistik sprechen rund 285'000 Menschen als Hauptsprache Albanisch – Stand 2021. Dies entspricht einem Bevölkerungsanteil von knapp 3,3 Prozent. Ein Grossteil von ihnen stammt aus dem Kosovo. Die Diaspora ist hauptsächlich in der Deutschschweiz zu Hause. Zentren sind Zürich, Basel, Bern, Winterthur und St. Gallen, dazu die Kantone Aargau und Solothurn.

Manche Albanerinnen und Albaner wurden von den Schweizer Behörden als serbische oder nordmazedonische Staatsangehörige erfasst. Kernland dieser Ethnie ist zwar die Republik Albanien, aber für diesen Staat spielte die Schweiz nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes als Asylland kaum eine Rolle. Die meisten Albanerinnen und Albaner in der Schweiz sind Muslime. Daneben gehören gut 20'000 einer christlichen Konfession an, vor allem der albanisch-orthodoxen oder der römisch-katholischen Kirche.

Diese balkanstämmigen Leute und ihre Kinder bilden in der Schweiz nach den Italienern, Deutschen und Portugiesen die grösste Gruppe mit ausländischen Wurzeln. Manche haben es zu Bekanntheit in Sport, Musik und Medien gebracht, etwa die Journalistin und Moderatorin Gülsha Adilji, die Boxer Nuri und Sefer Seferi, der Sänger Patrick Nuo.

Und ganz besonders der frühere Spitzenfussballer Valon Behrami, der lange für die Schweizer Nationalmannschaft spielte. Er kam 1990 mit seinen Eltern und seiner älteren Schwester in die Schweiz. Nach einer freundlichen Aufnahme im Tessin folgte nach vier Jahren die Ablehnung des Asylgesuchs. Das Dorf setzte sich für die Familie ein, nach einer erneuten Ausreiseverfügung erhielt sie 1998 doch noch die Aufenthaltsgenehmigung.

Die Reisefreiheit kommt

So haben die Schweiz und der Balkan gemeinsam ein Stück Weg zurückgelegt. Weiter geht es, zum Teil in die andere Richtung. Im Rahmen verschiedener Projekte hilft die Schweiz, den immer noch brüchigen Frieden im Balkan zu stärken und die Wirtschaft zu fördern. Auch mit Unterstützung von Schweizerinnen und Schweizern, die dort ihre Wurzeln haben.

So kommen die engen, oft familiären Beziehungen zum Tragen, die zwischen der Schweiz und dem Balkan bestehen. Die Brücken werden stabiler. Seit Januar dürfen kosovarische Staatsangehörige für Kurzaufenthalte in den Schengen-Raum einreisen. Die Visafreiheit gilt auch für die Schweiz.