US-Kirchen bekennen ihre Schuld gegenüber Indianern

US-Geschichte

Die Verbrechen an den US-Ureinwohnern wurde lange verdrängt. Nun brechen Historiker, aber auch US-Kirchen das Schweigen.

Im Grossmünster im Frühling 2017: Im Kreis stehen Mennoniten aus den USA mit Zürcher Reformierten. Der Historiker John Landis Ruth spricht ein kurzes Gebet, bittet, dass die Versöhnung zwischen den Mennoniten und den «Native Americans» so gelingen mag, wie sie zwischen den Zürcher Reformierten und den Täufern vollzogen wurde. 2004 bekannten die Nachfolger Zwinglis ihre Schuld, die Täufer verfolgt und ihre Füh­rer in der Limmat ertränkt zu haben. Seither sind Mennoniten und Reformierte freundschaftlich verbunden.

Aber warum wollen sich die Nachfahren der pazifistischen Glaubensflüchtlinge mit den Ureinwohnern Nordamerikas versöhnen? Die gewaltlosen Täufer, die den Dienst an der Waffe konsequent ablehnten, haben doch nichts mit der brutalen Beinahe-Vernichtung der In­dianer durch die weissen Eroberer zu tun.

Die für Gewaltstrukturen sensiblen Täufer sehen das anders. Aktuell wird in vielen mennonitischen Gemeinden intensiv über die Verstrickung der Täufersiedler in die an den Ureinwohnern begangenen Verbrechen diskutiert. Wenn sie auch ohne Waffen kamen, besiedelten sie oft Land, von dem zuvor Indianer vertrieben wurden. Selbst der Quäker William Penn, ein Glaubensbruder im Geiste der Täufer, konnte im nach ihm benannten Pennsylvania nicht seine Utopie des «friedlichen Königreichs», das die Indianer einschloss, realisieren.

Tricks und Gewalt

Der Luzerner Historiker Aram Mattioli berichtet in seinem neuen Buch, wie eine kleine Gruppe von christlichen Conestoga, denen 1690 von den Quäkern Land zugewiesen wurde, ein halbes Jahrhundert später brutal massakriert wurde. Das Buch «Verlorene Welten» folgt der Blutspur der Vernichtung der Ur-Einwohner Nordamerikas. Erschreckend schon die demografischen Daten: Um 1500 lebten schätzungsweise fünf bis zehn Millionen Native Americans auf dem Territorium der heutigen USA. 1900 zählten die Behörden nur noch 237 000 Menschen indianischer Herkunft. Mattioli sagt: «Die amerikanische Gesellschaft wurde auf den Gräbern von Hunderttausenden von Indianerinnen und Indianern errichtet.»

Der Historiker lässt in seinem Buch die schrecklichen Verbrechen hinter den nüchternen Zahlen durchschimmern. Da sind Gräueltaten von weissen Siedlern aufgeführt, die schwangeren Indianerfrauen den Bauch aufschlitzten und das ungeborene Kind aus dem Leib rissen. Auch Menschenjag­den, um Indianer zu versklaven, waren in manchen Gebieten an der Tagesordnung. Todesmärsche begleiteten erzwungene Umsiedlungen. Viele Verträge mit den Stammesführern wurden gebrochen, und Täuschungsmanöver der Regierung machten den Ureinwohnern das Land ab­spenstig. In Internatsschulen, oft von Kirchen geführt, sollten die Kinder der «Wilden» amerikanisiert werden.

Verdrängte Geschichte

Lange hätten die Historiker in den USA die Beinahe-Auslöschung der indianischen Völker verdrängt und stattdessen die Nationalgeschichte als «Erfolgs- und Fortschrittsgeschichte geschrieben, in der das aufklärerische Freiheitsprinzip frühe Triumphe gefeiert habe». Das langgehütete Narrativ von den arbeitsamen Europäern, die im fernen Amerika ein auf den Menschenrechten fussendes Staatswesen aufbauten, bröckelt nun. Insbesondere die Kirchen sind heute ernsthaft darum bemüht, die Aussöhnung mit den «Native Americans» zu suchen.

An der Seite der Sioux. 524 Pfarrerinnen und Pfarrer – von Mennoniten bis Methodisten, von Presbyterianern bis Katholiken – beteiligten sich Anfang Jahr an den Protesten gegen das Dakota-Pipelineprojekt, das durch heiliges Gebiet der Sioux führt und deren Grundwasser gefährden könnte.

Päpstliche Bulle verbrannt

Die Seelsorger verbrannten an der Demonstration die päpstliche Bulle von 1493, welche die überseeische Welt zwischen Spanien und Portugal aufteilte und den Christen die Neue Welt als Besitz zusprach. Später übernahmen die anglikanischen Briten die «Doctrine of Discovery» als Basis fürs Völkerrecht – nur mit dem Unterschied, dass sie das iberische Monopol auf die überseeischen Kolonien nicht akzeptierten.

Die evangelischen Mainline-Churches haben in den letzten zwei Jahren in ihren Synoden beschlossen, den christlichen Freibrief auf Raub und Plünderung nicht mehr zu akzeptieren. Der Vatikan tut sich indes schwer, die umstrittene Papst-Bulle ausser Kraft zu setzen – obwohl US-Katholiken dies fordern.

George Washington entzaubert

Aram Mattioli zeigt in seiner Studie über die weisse Landnahme auf, wie selbst in Schweizer Geschichtsbüchern glanzvoll beschriebene Staatsmänner wie ­George Washington in den Raub indianischen Landes verstrickt waren. Auch andere Gründungsväter wollten als Boden­spekulanten profitieren und lassen mit ihren Taten das Bild von den edlen Pionieren der Demokratie etwas verblassen. Die Menschenrechte galten eben nur für die weissen Einwanderer.

Verlorene WELTEN. Aram Mattioli, Klett-Cotta, 2017, 340 S., Fr. 38.90