Nicht nur gegen Christen, auch gegen eigene Staatsautorität

Nahostkonflikt

Kirchenvertreter fürchten, dass die christliche Minderheit in Israel verdrängt würde. Gleichzeitig leben mehr Christinnen und Christen im Land als im Vorjahr.

Es war die fünfte Attacke auf die deutschsprachige Benediktinerabtei Dormitio in Jerusalem. Am 15. Januar, ein Samstagabend, stürzte ein Sack mit Bauschutt aus dem sogenannten Griechischen Garten am Zionsberg in den Hof der Dormitio-Abtei. Dahinter soll eine kleine Gruppe jüdischer Extremisten stecken, die den Jerusalemer Benediktinermönchen immer wieder Probleme bereitet.

Bauschutt-Sack fällt in die Sitzecke

«Was an diesem Wochenende das Furchtbare war, ist nicht, dass Plastikstühle und eine Regenrinne kaputtgegangen sind. Dieser Bauschutt-Sack ist aus zehn Metern Höhe auf die Sitzecke geworfen worden, wo unsere Angestellten, unsere Studierenden und wir selbst gerne sitzen. Gott sei Dank war zu dem Zeitpunkt niemand im Innenhof. Ein paar Minuten später ist ein Mitbruder ganz normal vorbeigekommen. Ich will mir nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn jemand auf dem Stuhl gesessen hätte», beschreibt Pater Nikodemus gegenüber katholisch.de die Geschehnisse. Der deutsche Mönch trat 2003 in die Abtei auf dem Berg Zion ein. 

In der Nachbarschaft der Abtei wird das Davidsgrab vermutet, wo sich eine jüdische Yeshiva und der Abendmahlsaal befindet. Dort feiern verschiedene jüdische Gruppierungen jeweils das Ende des Shabbats. Gemäss Pater Nikodemus treffen sich dort auch Mitglieder der sogenannten «Hügeljugend» (Hilltop Youth) – militante Jugendliche aus der israelischen Siedlerbewegung, die immer wieder für Schlagzeilen sorgen, weil sie Palästinenser oder israelische Freiwillige im Westjordanland angreifen.

Verbale Angriffe gegen Mönche und Polizei

«Es fliessen Unmengen an Alkohol. Es ist also nicht so, dass wir jetzt zum ersten Mal samstagabends Probleme gehabt haben. Es werden immer mal wieder Sachen von uns beschädigt, es gibt da auch stets eine aufgeheizte aggressive Stimmung gegen uns», sagt Pater Nikodemus. Nicht nur die Mönche der Dormitio-Abtei werden verbal angegriffen, auch die Polizisten, die am 15. Januar die Attacke untersuchten. Das schockierte Pater Nikodemus: «Diese Menschen hassen nicht nur uns Christen, uns Mönche, sie verachten auch ihre eigene Staatsautorität. Da würde ich mir wünschen, dass Israel sich diesem Problem beherzter stellt», sagte er gegenüber katholisch.de.

Die Auswirkungen von Corona auf christliche Pilger in Israel

2019 war für den Tourismus im Heiligen Land ein Rekordjahr. 4,5 Millionen Touristen kamen nach Israel, die Hälfte davon Christen. Fast alle von ihnen besuchten Jerusalem, ein Drittel im Rahmen einer Pilgerreise. Gemäss einer Studie von ICOHS generieren die Touristinnen und Touristen rund drei Milliarden US-Dollar für die israelische Wirtschaft. Wegen Corona bricht den christlichen Gemeinschaften im Heiligen Land ohne die üblichen Pilgerströme nicht nur die Haupteinnahmequelle weg, sondern auch ein Gemeinschaftsgefühl.

Diese radikalen Gruppen gefährden gemäss dem griechisch-orthodoxen Patriarchen von Jerusalem die christliche Präsenz in Jerusalem. Der Patriarch unterschrieb den Brief, der am 13. Dezember 2021 die Vertreter aller 13 in Jerusalem vertretenen christlichen Konfessionen verfassten. Darin äussern sie ihre Angst, dass die christliche Minderheit im jüdischen Staat aufgrund solcher radikalen Attacken zunehmend verdrängt würde. Es gebe, so heisst es in der Erklärung, «einen systematischen Versuch, die christliche Gemeinschaft aus Jerusalem und anderen Teilen des Landes zu vertreiben».

Diese Anschuldigung seien unbegründet und verzerrten die Realität, sagte ein Sprecher des israelischen Aussenministeriums. Er unterstrich die «volle Religions- und Kultusfreiheit in Jerusalem und ganz Israel». Solche Veröffentlichung würden Schaden anrichten und könnten zu Gewalt führen. 

Dialog mit allen Kirchenvertretern gefordert

Ein Dialog zwischen den israelischen Behörden und allen Kirchenvertretern im Land sei dringend nötig, so der Wortlaut des Briefes. In diesen Gesprächen soll nicht nur über die Schwierigkeiten im Umgang mit den radikalen Gruppen diskutiert werden. Es soll auch darüber gesprochen werden, im christlichen Viertel der Jerusalemer Altstadt eine besondere Zone für christlich Kultur und christliches Kulturerbe zu schaffen.

«Es geht ihnen darum, über die «terra santa» selber bestimmen zu dürfen», interpretiert die Churer Pfarrerin Ivana Bendik die Forderung. «Doch wer sorgt dann für ihre Sicherheit? Wer macht die Abfallbeseitigung, liefert Strom und Wasser? Seit dem 16. Jahrhundert haben in Jerusalem einige christliche Institutionen das Privileg, die Abfallentsorgung kostenlos zu nutzen.»

Bendik gehört zu den Gründerinnen des Vereins Evangelische Schweizer Kirche in Israel(siehe Kasten). Das Ziel des Vereins ist eine Pfarrstelle in Jerusalem zu besetzten, da es bisher für Schweizer Christinnen und Christen in Israel bis heute keine Ansprechperson gibt. Bendik unterstreicht dann auch eine Stelle im Brief, die aufgrund von Emotionen übersehen würde: «Der Brief spricht auch von der Dankbarkeit gegenüber dem Engagement des Staates Israel, Christinnen und Christen eine sichere Heimat im Heiligen Land aufrecht zu erhalten und die christliche Gemeinschaft als integralen Bestandteil der lokalen Gemeinde zu bewahren.»

Verein Evangelische Schweizer Kirche in Israel

Der 2020 gegründete Verein will ein Schweizer Pfarramt in Israel aufbauen, um Schweizer Christinnen und Christen im Land zu betreuen. Zudem engagiert sie sich mit Begegnungen und Bildung in der Antisemitismus-Prävention. Der Verein versteht sich als ein «verlässlicher Partner des Staates Israel vor Ort».

Präsident ist der Basler Münsterpfarrer Lukas Kundert. Die Churer Pfarrerin Ivana Bendik ist Vizepräsidentin. Derzeit sucht der Verein einen Hauptsponsor für das Pfarramt in Israel. Dieses Jahr ist im Sommer eine Israel-Reise für Jugendliche der Reformierten Kirche Chur mit einem Aufenthalt in einem Kibbuz und einer Rundreise geplant. Im Juli findet eine Tora-Lernwoche in Basel statt.

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Ivana Bendik will, ohne die Probleme zu negieren, den Blick vom Destruktiven auf das Konstruktive richten. Gemäss neusten Statistiken ist die christliche Gemeinschaft in Israel im Jahr 2020 um 1,4 Prozent gewachsen. Aktuell leben 182000 Christinnen und Christen im Land. «Aus der Statistik geht auch hervor, dass 84 Prozent der Christinnen und Christen in Israel zufrieden oder sehr zufrieden sind. Es sieht ganz danach aus, als ob die Koexistenz der vielen Traditionen und Kulturen das Zusammenleben bereichert und die Menschen zufrieden macht.

Dass es sich bei den Gruppen radikaler Siedler um eine Minderheit handelt, zeigt auch der Besuch im Benediktinerabtei Dormitio in Jerusalem von Vertreterinnen und Vertreter der israelischen Gruppe «Tag Meir» ein paar Tage nach den Geschehnissen. «Tag Meir» setzt sich in Israel gegen Rassismus und Gewalt ein. Rabbinerin Tamar Elad Applebaum war Teil der Delegation und betonte am 23. Januar: «Diese Taten haben nichts mit unseren jüdischen Traditionen zu tun.»

Christinnen und Christen in Israel

Laut dem zentralen israelischen Statistikbüro machen Christinnen und Christen in Israel 1,9 Prozent aus. Aktuell leben 182 000 Christinnen und Christen im Land. Das sind 1,4 Prozent mehr als vor einem Jahr. Drei Viertel der Christen sind arabische Christinnen und Christen. Ihre Mehrheit lebt im Norden des Landes oder rund um Haifa. Haifa und Nazareth gehören damit zu den Städten mit der grössten arabisch-christlichen Bevölkerung. Mit 12 900 Christen ist Jerusalem die drittgrösste Stadt. Rund 42 Prozent der nicht-arabischen Christen hingegen leben in Tel Aviv und im Zentrum des Landes.